Hier gibt es meine Beiträge zu europäischen Themen in chronologischer Reihenfolge
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🇵🇹 Portugal: „Marcelo“ bleibt, Rechts gewinnt, Links schmiert ab…
Die Präsidentschaftswahlen bringen trotz bzw. wegen der besonderen aktuellen Umstände einige überraschende Ergebnisse
25.01.2021

Die (ziemlich) gute Nachricht der portugiesischen Präsidentschaftswahlen ist: Marcelo Rebelo de Sousa (72) wurde mit einem hohen Stimmenanteil von 60,7 Prozent schon im ersten Wahlgang wieder zum Staatsoberhaupt gewählt. „Marcelo“, wie er von vielen Menschen und auch in den Medien bisweilen kurz genannt wird, ist Mitglied der konservativ-liberalen Partei PSD (deren Name „sozialdemokratisch“ irreführend ist!). Aber er ist weit über die eigenen Parteigrenzen hinaus beliebt und hat sich in der ersten Amtszeit als engagierter, liberal gesinnter und humorvoller Präsident im Land viel Anerkennung erworben.
Die Präsidentschaftswahl fand mitten in der aktuell stark zugespitzten Corona-Krise statt und während eines verschärften Lockdowns (bei einer 7-Tage-Inzidenz von über 800 und einem hohen Anteil von Infektionen mit der britischen Mutation). Für den Wahltag wurde das Ausgangsverbot gelockert, aber trotzdem haben nur knapp 40 Prozent der fast 10 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, viele davon per Briefwahl. 2016 hatten noch 48,6 Prozent an der Wahl teilgenommen. Medienberichten zufolge spielte die Wahl aufgrund der angespannten Corona-Situation für viele in diesem Jahr eine eher untergeordnete Rolle.
Die schlechte Nachricht ist, dass die neue rechtsextrem-nationalistische Partei „Chega“ („Jetzt reicht‘s!“) mit ihrem Kandidaten (und Vorsitzenden) André Ventura fast 12 Prozent der Stimmen holen konnte. Bei der Parlamentswahl im Oktober 2019 hatte die splitterneue Partei noch 1,3 Prozent erhalten und war mit André Ventura als einzigem Abgeordneten ins portugiesische Parlament eingezogen. Das so sprunghafte Erstarken einer rechtsextremen Partei in Portugal ist ein überraschendes Signal, denn in allen Krisen der jungen portugiesischen Demokratie, die nach einer jahrzehntelangen faschistischen Diktatur erst in der „Nelkenrevolution“ 1974 errungen wurde, spielte Rechtsextremismus im politischen Spektrum Portugals bisher keine Rolle.
Marcelo Rebelo de Sousas Popularität verwies die Kandidatin der regierenden links-sozialdemokratischen Partei PS, Ana Gomes, mit knapp 13 Prozent auf einen schwachen 2. Platz. Enttäuschend auch das Abschneiden der Kandidatin des Linksblocks („Bloco de Esquerda“, BE), Marisa Matias, mit nur 3,9 Prozent, ein schmerzhafter Verlust, denn bei den Parlamentswahlen 2019 hatte die Partei noch 9,5 Prozent erreicht. Marisa Matias hatte auch 2016 für das Präsidentenamt kandidiert und mit über 10 Prozent die dritte Position erzielt. Nur knapp vor ihr landete in diesem Jahr der Kandidat der kommunistisch-grünen Liste (PCP/Verde), João Ferreira, mit 4,3 Prozent auf dem 4. Platz von insgesamt 7 Kandidierenden, bei den Parlamentswahlen waren es noch 6,3 Prozent. Selbst in kommunistischen Hochburgen der Alentejo-Region blieb Ferreira hinter dem „Chega“-Kandidaten zurück.
Durch die besonderen Umstände dieser Wahl wäre es wohl etwas vorschnell, von einem Umbruch im politischen System Portugals zu sprechen; dazu war die Wahlbeteiligung zu gering, die Popularität des amtierenden Präsidenten zu groß und die aktuell sehr schwierige Corona-Situation zu dominant. Bemerkenswert ist der rechtsextreme Durchbruch dennoch – umso mehr, als die traditionell starken Linksparteien kein Gegengewicht darstellen konnten und viele ihrer Wähler*innen nicht ausreichend mobilisieren konnten.
Bisher konnten sich der Linksplock BE und die PCP auch in Krisensituationen eher behaupten oder sogar Zuwächse verbuchen. Von 2015 bis 2019 gab es sogar eine erfolgreiche parlamentarische Zusammenarbeit mit der regierenden PS. Die Herausforderung für die beiden Linksparteien wird es nun sein müssen, die Politik einer sozialen Gerechtigkeit neu zu vermitteln, sich gegen den Rechtsextremismus, der sich von negativen Gefühlen nährt, zu stellen und verloren gegangene Wähler*innen zurückzuholen – eine Herausforderung, die anderswo von einer Reihe anderer europäischer Linksparteien bisher entweder nicht erkannt oder nicht ausreichend umgesetzt wird…
In seiner Rede am Wahlabend erklärte Marcelo Rebelo de Sousa, dass das Land nun nicht mehr nur gegen die Pandemie, sondern auch gegen den Extremismus kämpfen müsse. Drei Jahre vor dem 50. Jahrestag der Nelkenrevolution „müssen wir wieder entdecken, was wir durch die Pandemie verloren haben, die gebrochenen Bindungen wieder herstellen, die errichteten Barrieren durchbrechen, die vervielfachte Einsamkeit, die Fremdenfeindlichkeit, die Ausgrenzung und die entstandenen Ängste überwinden“, mahnte der wiedergewählte Präsident.
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🇵🇹 Portugal: Entschärfter Lockdown zum Jahresende lässt Corona-Infektionen explodieren
Noch in der „1. Welle“ konnte das Land die Verbreitung des Virus‘ erfolgreich eindämmen. Seit Januar jedoch gerät das Gesundheitssystem an die Belastungsgrenze, denn in fast allen Regionen gibt es Inzidenzwerte weit über 1000.
23.01.2021

Seit wenigen Wochen breitet sich das Coronavirus in Portugal nahezu unkontrolliert aus, obwohl es schon seit Ende 2020 Lockdown-Maßnahmen gibt. Gründe für den rasanten Anstieg sind im häufigen Vorkommen der britischen Mutation B.1.1.7 zu finden, die bereits jede 8. Infektion bestimmt. Die rasante Zunahme der Infektionen fand Anfang Januar nach einem entschärften Weihnachtslockdown statt.
Es gab nicht nur viele Reisen innerhalb Portugals, sondern auch aus dem Ausland (vor allem Großbritannien, Frankreich, Luxembourg und die Schweiz), wohin allein in der Wirtschaftskrise von 2008-2015 mehr als eine halbe Million Menschen, besonders junge Leute, ausgewandert war. Allein in der EU wohnen rund 1,2 Millionen Menschen mit portugiesischer Staatsbürgerschaft. Darüber hinaus leben mehr als 300.000 Portugies*innen in Brasilien, wo das Coronavirus seit Monaten unkontrolliert wütet, und fast ebenso viele Brasilianer*innen in Portugal. Dies führte zu nahezu unüberschaubaren Reiseaktivitäten rund um das Jahresendfest – und das in Corona-Hotspots wie Brasilien, Großbritannien und Frankreich, wo bereits Virusmutationen aufgetaucht waren.
Offiziell sind seit Anfang 2021 mit über 600.000 Menschen rund 7 Prozent der Gesamtbevölkerung (10,3 Mio.) mit Covid19 infiziert (zwei Drittel gelten inzwischen als „genesen“), die Dunkelziffer dürfte allerdings weit höher liegen. Die landesweite 7-Tage-Inzidenz liegt aktuell bei über 750 und damit an der europäischen Spitze (vor Andorra, Spanien und Tschechien). Im Vergleich zur BRD liegen die Infektions- und Todeszahlen in diesen Tagen um das Siebenfache höher.
Auffallend ist, dass sich das Infektionsgeschehen nicht nur auf die größeren Städte konzentriert (7-Tage-Inzidenz in Lissabon und Coimbra ca. 1040, in Porto 741), sondern in der Provinz teils weitaus stärker vertreten ist: Guimarães (Nord) verzeichnet eine Inzidenz von fast 1200, Miranda do Douro (Nordost) sogar 3500, Elvas (Ost) über 1800, etwas gemäßigtere Zahlen gibt es fast nur im Südwesten des Landes, stellenweise auch im Nordosten. Zu einer dramatischen Inzidenz von über 5600 ist es hingegen in der Kommune Cuba im Nord-Alentejo gekommen; in den umliegenden Kreisen liegen die Werte zwischen 900 und 2650.
Die portugiesische Regierung hat in diesen Tagen einen fast vollständigen Lockdown beschlossen, der nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens umfasst, denn die Kapazität der Intensivbetten in den Krankenhäusern ist zurzeit voll ausgelastet. In Irland, das bereits vorher ähnlich betroffen war, führte ein Total-Lockdown in wenigen Tagen zu einer Halbierung der 7-Tage-Inzidenz. Gleichzeitig wird in Portugal die Impfung vorangetrieben. Schon jetzt gehört Portugal zu den Ländern der EU, in denen am meisten geimpft wird: 2,1% der Bevölkerung haben die erste Impfdosis bereits erhalten (BRD: 1,65%).
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🇵🇹 Sozialpolitik im Fokus von Portugals EU-Ratspräsidentschaft
Portugal kann schwere soziale Defizite der EU überwinden helfen. Vergangene BRD-Präsidentschaft war eher ein „Flop“…
01.01.2021

Ob die EU zu einer sozialeren Politik für die 27 Mitgliedsstaaten taugt, muss mit Skepsis betrachtet werden, denn der Kernfehler der Staatengemeinschaft ist, dass sie in ihren Verträgen (u.a von Masstricht 1993 und Lissabon 2007) eine neoliberale Wirtschaftspolitik festgeschrieben hat, die z.B. eine wirkungsvolle Sozialcharta mit verbindlichen Standards nahezu unmöglich macht – und darüber hinaus von einer Reihe von Staaten abgelehnt wird.
Portugal, das im 1. Halbjahr 2021 die EU-Ratspräsidentschaft innehat, setzt nun jedoch zumindest verbal neue Zeichen: Die links-sozialdemokratische Regierungspartei tritt mit dem bemerkenswerten Slogan „Zeit zum Handeln: Für einen gerechten, grünen und digitalen Wiederaufbau“ in der EU an und wird einen Schwerpunkt auf die Sozialpolitik der EU legen. Bei aller Skepsis am EU-System könnte hier aus Lissabon zumindest ein neuer Tonfall in die neoliberale EU gelangen.
Ende 2020 ging die Ratspräsidentschaft der BRD zu Ende. Sie verlief wenig erfolgreich und stand unter dem wachsweichen Motto „Gemeinsam. Europa wieder stark machen“. Falsch ist es allemal, denn „Europa“ reicht bis zum Ural – und genau dort hat die EU nun wahrlich nichts zu suchen, besonders wenn das „Stark-Machen“ auch die militärischen Pläne der EU gegen Russland beinhaltet…
Viel hat die BRD im EU-Vorsitz wahrlich nicht erreicht. Neben einer mühsam beschlossenen Corona-Hilfsanstrengung blieben die Ziele einer besseren, gemeinsamen Flüchtlingspolitik und die Einhaltung demokratischer Rahmenbedingungen für alle (!) Mitgliedsstaaten auf der Strecke…
Doch zurück zu Portugals Ratspräsidentschaft. Bei einem Gipfeltreffen im Mai 2021 in Porto soll die so genannte „soziale Säule“ der EU konkretisiert und mit einem Aktionsplan unterfüttert werden. „Die soziale Säule muss eine konkrete Bedeutung für die Bürger*innen erhalten“, heißt es im portugiesischen Programm ihrer Präsidentschaft.
Möge diese Absicht nicht an falschen Kompromissen und diplomatischen Winkelzügen scheitern, denn Niedriglöhne, wachsende soziale Spannungen und unzureichende Sozial- und Transferleistungen kennzeichnen die meisten EU-Mitgliedsstaaten. Mehr als jede*r Fünfte (20,9%, BRD: 17,4%) ist in der EU von Armut betroffen, 25% in Spanien und einigen osteuropäischen Ländern und 30% in Griechenland und den Balkan-Nachbarländern.
Portugals Schwerpunktsetzung ist also höchst notwendig – und sollte die portugiesische Regierung (die derzeit ohne Unterstützung der Linksparteien als Minderheitsregierung agiert) es damit wirklich ernst meinen, würde sie nicht nur einen bisher „unerhörten“ Schritt gehen, sondern der (zu Recht!) in Verruf geratenen Union einen wichtigen Dienst zu neuer Glaubwürdigkeit und notwendiger Erneuerung verschaffen.
Hier mehr über die EU-Präsidentschaft Portugals erfahren (in englischer Sprache): https://www.2021portugal.eu/en/
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„Beseitigt endlich die wahren Fluchtursachen!“
Die nach Europa Fliehenden sind die sichtbare Konsequenz eines menschenfeindlichen Agierens in Politik und Wirtschaft der europäischen Staaten. – Die meisten Tragödien bleiben (für uns) unsichtbar.
13.11.2020

„…mehr als 90 Flüchtlinge ertrunken“, „…mehr als 400 Flüchtlinge ertrunken“ – Diese Meldungen beschreiben die Katastrophen vor der libyschen Küste an einem Tag und vor den Kanarischen Inseln im Atlantik innerhalb von 10 Monaten. Sie stammen aus den jüngsten Tagen. Auf die Titelseiten haben sie es nur noch selten geschafft.
Doch das tägliche Sterben geht weiter – auf dem Meer vor Spanien, Malta, Italien und vor Griechenland. Als ich vor 4-5 Jahren für eine Webseite Artikel zu diesem Thema verfasste, waren die unbekannten Opfer aus den Krisengebieten Afrikas und Arabiens mit Hilfe von kleinen Kreuzen fast noch „zählbar“ (s. Grafikausschnitt von Juli 2016). Doch heute überschreitet ihre Zahl die Grenze von 20.000 – und jeden Tag werden es mehr.
Noch weniger bekannt ist die Zahl der vielen Toten auf dem Weg durch die nordafrikanische Wüste, bevor die Küste erreicht werden kann. Sie wird auf mindestens das Dreifache geschätzt. Berichte in den gängigen Medien gibt es davon kaum. – In nur 5 Jahren (und alle Fluchtrouten zusammengenommen) dürften also weit mehr als 100.000 Menschen ihr Leben auf den Fluchtrouten verloren haben. Oder: Jede*r 20. hat die Flucht nicht überlebt.
Seenotrettung im Mittelmeer, die durch mehrere Initiativen geleistet wird, ist für einige Hundert Hilfe auf der letzten oder vorletzten Etappe ihrer Flucht. Sie ist notwendig und von humanem Geist getragen. Die für Fluchtfragen zuständigen EU- und Nationalstaaten verhindern jedoch diese Hilfe für vergleichsweise wenige Flüchtlinge, die es bis auf das Meer „geschafft“ haben. Rettungsschiffe werden am Auslaufen gehindert und die Verantwortlichen kriminalisiert.
Das Dilemma ist jedoch: Seenotrettung ist bei weitem nicht das erste, sondern eines der letzten Glieder in der langen Kette der Fluchttragödien. Die Katastrophe beginnt für alle zu Hause in ihrem eigenen Land. Teile der Agrarwirtschaft Afrikas sind seit Jahren zusammengebrochen, weil die EU die armen Länder mit Billigprodukten überschüttet oder die Küstengewässer leer fischt. Außerdem haben die EU-Staaten hohe Zölle für afrikanische Handwerks- und andere Produkte verhängt. – Oder es herrscht Krieg, wie im Nahen und Mittleren Osten – Kriege die von Nato und EU mit befeuert werden und für die die europäische Rüstungsindustrie Waffen liefern „darf“ und sich daran eine goldene Nase verdient…
Die meisten Flüchtlinge fliehen in andere Teile ihrer Länder oder in Nachbarstaaten. – Nach Europa kommen oft nur diejenigen, die das nötige Geld zusammenbringen können, um auf ihrem langen Weg rücksichtslose Schleuserbanditen oder Bootsverleiher zu bezahlen und sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Sie hoffen auf einen Einstieg in schlecht bezahlte Billigjobs in Südeuropa, um dann irgendwann Fuß zu fassen. Einige von ihnen bringen eine Ausbildung mit und werden in ihren Heimatländern schmerzlich fehlen. Dies tun auch diejenigen, die über hiesige Krankenhäuser und Facharbeitsunternehmen abgeworben werden – und die Fluchtstrapazen so zumindest teilweise umgehen können.
Für die seit Jahren andauernde Fluchtbewegung aus den benachbarten Krisenregionen sind also „wir“ in Europa erheblich mitverantwortlich. Es sind (auch) die europäischen Staaten, die die oben genannten Fluchtursachen schaffen – und dann auf politischer Ebene versuchen, die Tore für die meisten Flüchtenden zuzuhalten. Das ist nicht nur skrupellos und menschenverachtend, sondern auch kriminell.
Der Ausweg besteht also darin, die oben geschilderten Umstände zu beseitigen, damit die betroffenen Länder Afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens endlich die notwendige Stabilität und friedliche Bedingungen für die Menschen erlangen können. – Hierzulande reicht es für eine grundlegende Problemlösung nicht aus, Flüchtlinge willkommen zu heißen und offene Grenzen zu fordern. So wichtig die Rettung und die Unterstützung hier für die vielen Menschen in Not auch ist (sie ist aus humanitären Gründen wahrhaftig „alternativlos“!): Dies bleibt eine oft viel zu späte Symptombekämpfung, die die eigentlichen Ursachen aus den Augen verliert.
Die eigentlichen Demonstrationen sollten sich gegen die politisch immer noch existierenden Mehrheitsverhältnisse für Krieg und Waffenlieferungen, für die wirtschaftliche Unterdrückung Afrikas und die gezielte Abwerbung von Facharbeitskräften richten. Die Verantwortlichen für Not, Elend und Fluchtursachen sitzen in unseren Regierungsinstitutionen, in wirtschaftlichen Konzernen und Verbänden, in Berlin ebenso wie in Brüssel – sowie in den Nato- und Bundeswehr-Planungsstäben und der einflussreichen und profitgierigen Rüstungsindustrie!
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🇵🇹 Lissabon 2017: Ein „Plan B“ für eine gerechte, demokratische EU
21.10.2020
Im Oktober 2017 fand in Lissabon eine 2-tägige „Plan-B“-Konferenz der europäischen Linksparteien statt. Ich nahm daran teil, gewann viele Einsichten in die Befindlichkeiten linker Europapolitik sowie in die Chancen für eine erneuerte, demokratische EU – und ich hatte die Freude, dort den Bundestagsabgeordneten Fabio de Masi zu treffen, der für eine Podiumsdiskussion eingeladen war und dort Klartext sprach. – Damals schrieb ich den folgenden Artikel:

„Wir sind keine Träumer, sondern die wahren Realisten!“
Wie groß die Nachwirkungen und Verletzungen durch die neoliberale Politik der EU-Eliten insbesondere in Südeuropa sind, wurde bei der Lissaboner Tagung deutlich. Die portugiesische Linkspartei Bloco de Esquerda (BE) richtete die zweitägige 5. Tagung der Plan-B-Konferenz in der Lissaboner Universität am 21. und 22. Oktober aus und knüpfte damit an frühere Treffen in Paris, Kopenhagen, Madrid und Rom an. Zuvor war im Lissaboner Stadtbild an vielen Stellen großflächig für das Ereignis geworben worden. – Die BE-Vorsitzende Catarina Martins eröffnete die Tagung vor 400 Menschen aus vielen europäischen Ländern und erklärte: „Für in besseres Europa dürfen wir niemals die Solidarität aufgeben. Wir können es nur zusammen und mit vielen Initiativen und Institutionen schaffen. Wir müssen die Anwälte der Demokratie sein, und wir müssen soziale und ökonomische Mindeststandards schaffen.“
Manuel Urbán, der die spanische Linksbewegung Podemos im EU-Parlament vertritt, forderte ein Ende des neoliberalen Kurses, der Millionen von Menschen ausgegrenzt und enteignet hat: „Die EU-Sparpolitik ist die Sabotage eines humanen europäischen Projekts, und noch hat die Linke noch keine ausreichenden Antworten auf den Ausschluss vieler Menschen aus der Gesellschaft und auch nicht auf die aktuelle Welle der Fremdenfeindlichkeit.“ Urbán führte weiter aus, dass ein neues Europa auf der Grundlage der neoliberalen Maastricht- und Lissabon-Verträge nicht geben dürfe. Er forderte konkretes Handeln durch praktische „Kampagnen des Ungehorsams“. Die europaweiten Anti-TTIP-/CETA-Aktionen, so wurde im weiteren Verlauf der Konferenz ausgeführt, seien hierfür als Blaupause geeignet.
Die ehemalige griechische Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou, die heute die Initiative Weg zur Freiheit leitet, wertet die EU-Politik als eine bewusste Entscheidung „gegen uns“. Die neoliberale Politik sei ein Staatscoup von Banken und Regierungen gegen die Menschen. „Wir haben in Griechenland das hässliche Gesicht dieser EU kennen gelernt“, erklärte sie. Nun heiße es, durch konkrete Aktionen gegenzusteuern. „Als Verteidiger der Demokratie und der Schwachen müssen wir kompromisslos für Demokratie, Frieden und die menschliche Würde eintreten. Wir sind keine Manager und keine Diplomaten! Wir müssen mit unserem Plan B solidarisch die kriminellen und mafiösen EU-Strukturen bekämpfen!“, rief sie dem applaudierenden Publikum zu. – In der EU ist nahezu jede/r Fünfte von Armut betroffen oder bedroht, in Süd- und Osteuropa oft 20-25, im Norden der EUetwa 10-17 Prozent.
Merkel und Macron bleiben bei Austeritätspolitik: „You’ll get the money, but you have to strip first!“
In einem von vier Workshops am ersten Konferenztag ging es auch um die Folgen der offiziellen EU-Politik, wie sie sich zehn Jahre nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages zeigen. Der LINKE-Politiker und bisherige EU-Parlamentsabgeordnete Fabio de Masi konzentrierte sich in seinem Beitrag besonders auf die aktuelle Rolle der BRD und Frankreichs. Er deutete an, dass sich „Mekron“, also das Regierungsgespann aus Merkel und Macron, sich von der unsozialen Spar- bzw. Austeritätspolitik nicht abwenden werde. So gelte auch weiter das Prinzip der „wirtschaftlichen Prostitution“ gegenüber den Ländern, die ohnehin schon den Diktaten der EU und der Bundesregierung unterworfen sind – Motto: You’ll get the money – but you have to strip first! – Frankreich unternehme zurzeit alles um dem Lohndumping der BRD nachzueifern und sich so eine Vormachtstellung in der EU zu erkämpfen.
De Masi führte wie andere KonferenzteilnehmerInnen aus, dass Gelder, die Berlin und Paris an die EU abführen auch weiter nicht für soziale Investitionen genutzt würden. Vielmehr gehe es darum, die EU als „Verteidigungsbündnis“ weiter zu militarisieren und mit Hilfe der anderen Mitgliedsländer die nationalen Haushalte zu schonen.
In den vielen Beiträgen und Diskussionen wurde immer wieder deutlich, dass es aus linker Sicht keine Weiter-So auf der Grundlage der EU-Verträge von Maastricht (1992) und Lissabon (2007) geben darf. Sie sind in der Öffentlichkeit als Schritte zur europäischen Integration verkauft worden, in den Grundzügen haben sie jedoch der neoliberalen Herrschaft des Finanzsektors, der Konzerne und der EU-Eliten das Tor für ihr unsoziales Handeln weit aufgestoßen. Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen sowie die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge haben die sozialen Sicherungssysteme in allen EU-Ländern ausgehebelt und einer sozialen Enteignung von Millionen von Menschen mit sich gebracht. Folge der Verträge ist auch, dass nationale Regierungen keine höhere Besteuerung vornehmen dürfen, so dass als Folge immer nur der Weg des sozialen Kahlschlags beschritten wird.

Ein besseres Europa muss durch solidarische Initiativen erkämpft werden, nutzlose Soziale-Säulen-Rhetorik bringt uns nicht weiter!
Dass die neoliberale Struktur nach dem Willen der Mächtigen auch zukünftig erhalten bleiben soll, ändert auch eine sog. „soziale Säule“, wie sie derzeit in der EU diskutiert und sogar schon von einigen Gewerkschaften befürwortet wird, nichts, führte Maj Rydbjerg, dänische Abgeordnete in der EU-Linksfraktion, aus. Das öffentlichkeitswirksame Projekt diene zuallererst der Befriedung wachsender Widerstände, ändere aber an den fehlenden sozialen Rechten in der EU und an der Austeritätspolitik nichts. Statt eines europäischen Wohlfahrtssystems werde weiter an der Militarisierung der EU gebastelt. Die „soziale Säule“ sei nichts anderes als eine Schaufensteraktion. Eine solidarisch auftretende Linke müsse daher konkret gegen die Wurzeln der Austeritäts- und Finanzpolitik vorgehen und sich für eine Sozialcharta einsetzen, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird.
Neben den fehlenden sozialen, humanitären und arbeitsrechtlichen Standards, die von linken Parteien und Bewegungen in der EU immer stärker in den Blick genommen werden, fehle es derzeit noch an einem ebenso starken Engagement in der Wohnungsfrage, erläuterte danach Rita Silva von der portugiesischen Initiative Habita, die Mieterrechte und die verfehlte Wohnungspolitik thematisiert. Durch die rasante Privatisierung und das zunehmende Merchandising auf dem Wohnungsmarkt, sei Wohnen einer grenzenlosen Spekulation unterworfen. Millionen von Menschen werden durch die Explosion von Mieten und Wohnungspreisen aus ihren Wohnungen vertrieben bzw. in soziale Armut gedrängt. In den europäischen Städten herrsche eine neoliberale Konkurrenz um die höchsten Profite, so Rita Silva. Auch seitens der Politik sei eine öffentlich geförderte Wohnungspolitik unter diesen Umständen nicht mehr im Blickfeld. Hier müssen linke Kräfte aktiver werden und mit konkreten Aktionen gegen die multinationalen Interessen der neoliberalen Eliten vorgehen.
Ein neues Europa braucht Widerstand und kollektiven Ungehorsam von unten!
Generell sei die neoliberale EU nur zu überwinden, wenn es eine breite linke Veränderung von unten gibt, war in vielen Beiträgen während der Lissaboner Konferenz zu hören. Dabei müssen soziale, humanitäre, feministische und arbeitnehmerrechtliche ebenso im Fokus stehen wie eine sozial angelegte ökologische Veränderung, die die Fragen des Klimas und der Umwelt aus den Konzern- und Profitinteressen herauslöst. Diese Form des sozialen Widerstandes auf der Grundlage eines kollektiven Ungehorsams ist der einzige Weg, um die derzeitigen neoliberalen Fundamente der EU zu zerschlagen und ein Europa zu bauen, dass ein Europa aller Menschen sein muss.
In der Schlussdiskussion ging es auch um das „Schlüsselwort Selbstbestimmung“ – für alle Menschen. Insbesondere gilt dies für die Situation von Frauen, die EU-weit noch immer überproportional zu Niedriglöhnen arbeiten und daher besonders von Armut bedroht sind. 14 Länder haben noch immer nicht die Istanbuler Erklärung des Europarats zur Gleichstellung von Frauen sowie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (2011) ratifiziert, darunter Irland, Großbritannien, die Schweiz sowie viele osteuropäische Länder.
Für ein demokratisches und repressionsfreies Europa braucht es Solidarität und Begeisterung!
Eine wirksame Veränderung muss nicht aus der Institution EU heraus erfolgen, sondern durch einen neuen Fokus auf Europa als Ganzes. Dazu braucht es klare Entwürfe für die zentralen Punkte des sozialen Zusammenlebens, eine Kontrolle des Banken- und Finanzsektors – und von linker Seite zusätzlich eine hohe Mobilisierung sowie Geschlossenheit. Ein neues Europa muss von den Linken mit Begeisterung gestaltet werden.
Daran knüpfte auch Nikolaj Villumsen, Vorsitzender der Enhedslisten-Fraktion im dänischen Folketing, an: Ein neues Europa müsse demokratisch und repressionsfrei sein. Er verwahrte sich gegen die Mediendarstellung EU-kritischer Haltungen von links als „Nationalismus“.. Vielmehr gehe es um eine demokratische Mitbestimmung an europäischen Angelegenheiten von unten, erklärte Villumsen. Die jetzige EU ist ein Produkt des Konzern- und Bankenkapitals, und die politischen EU-Eliten haben längst den Kontakt zur Bevölkerung verloren. Deswegen sei die solidarische und demokratische Initiative des „Plan B“ so wichtig für ein neues Europa.
„Wir träumen nicht! – Wir sind die wahren Realisten!“
Die BE-Vorsitzende Catarina Martins richtete in ihrer Abschlussrede einen eindringlichen Appell an die europäische Solidarität. Die Zukunft Europas dürfe nicht länger in en Händen des Finanzkapitals liegen, sondern müsse eine Entwicklung zu einem Kontinent der Demokratie nehmen. Die europäische Linke sei in vielen Punkten verschieden, aber sie sei einig in ihren Grundhaltungen zu besseren Lebensverhältnissen und zur Demokratie, bilanzierte sie zum Abschluss der Plan-B-Tagung. Gemeinsam gelte es, sich den EU-Projekten einer gemeinsamen Steuer- und Militärpolitik zu widersetzen. Stattdessen müssen Linke für ein soziales, friedliches, feministisches und humanitäres Europa eintreten und in einem breiten Bündnis kämpfen. Das Signal der Plan-B-Beratungen muss die Schaffung einer breiten Bewegung für ein besseres Europa sein. Sie schloss die Tagung mit den Worten: „Wir träumen nicht, denn wir sind die wahren Realisten! Nehmen wir uns an den Händen und bauen ein besseres Europa!“
Auch für DIE LINKE ist der linke europäische „Plan B“ ein wichtiges Signal. Noch zu oft wird in der Diskussion die EU als „europäisches Friedensprojekt“ angesehen, die neoliberale Verfasstheit der EU gerade durch die Verträge von Maastricht und Lissabon wird aber oft nur undeutlich und selten grundlegend kritisiert. DIE LINKE sollte sich der Diskussion, wie sie das Plan-B-Projekt immer wieder anstößt, noch offensiver stellen und an ihr noch deutlicher mitwirken. Der Tenor von Lissabon ist: Die derzeitige EU ist nicht reformierbar, ohne eine radikale Änderung ihrer Grundsätze; deshalb streben wir nach einem neuen demokratisch organisierten Europa! – Diese Botschaft sollte auch bei LINKE-PolitikerInnen ein besonderes Gehör finden, um die Menschen in Europa nicht mit zu kleinteiligen „Reförmchen“ in einer scheinbar alternativlosen EU abzuspeisen.
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Beleidigtsein hilft nicht!
Meine Reaktion auf zwei Leitartikel zur Öffnung der dänisch-deutschen Grenze in der Zeitung der dänischen Minderheit, Flensborg Avis
14.05.2020

Die derzeitige beidseitige Grenzschließung führt insbesondere bei Angehörigen der beiden Minderheiten zu Problemen bei privaten Kontakten, die oft nicht als hinreichender Grund für eine Einreise nach Dänemark oder Schleswig-Holstein anerkannt werden. Der Chefredakteur der Flensborg Avis, Jørgen Møllekær, hat in zwei Leitartikeln die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen scharf angegriffen und dabei tief in die „emotionale Kiste“ gegriffen. Dazu habe ich den folgenden Leserbrief geschrieben (das dänische Original steht weiter unten):
Glaubt wirklich irgendjemand, dass die Ministerpräsidentin die Grenze mit Freude geschlossen hält – oder weil sie es toll findet, Dänemark zu isolieren – oder weil sie „andere Länder mehr mag als Deutschland“??? Hier in Südschleswig hören wir nun wieder das altbekannte Jammerlied: „Wir werden übersehen (oder sogar vergessen).“
Das ist aber nur kleinliche Selbstverliebtheit – und total verkehrt, jetzt auf beleidigte Gefühle zu setzen, besonders wenn jemand Leitartikelverfasser o.ä. ist. Für viele, die jetzt nicht über die Grenze können, ist es schon schwer genug. – Noch schlimmer wird es, wenn angedroht wird, dass „die Liebe vieler Südschleswiger*innen zu Dänemark“ jetzt in Gefahr geriete… Auch das noch! Als Südschleswiger brauche ich Dänemark nicht zu „lieben“. Ich bin ein Teil davon, und Dänemark ist ein Teil von mir. Um mehr geht es nicht – aber auch nicht um weniger!
Die Ministerpräsidentin hat mitnichten irgendetwas „zerstört“, nur weil sie und ihre Ratgeber*innen die Folgen einer totalen Grenzöffnung derzeit nicht einschätzen können. – Hierbei nützt es nichts, ihr Motive zuzuschreiben, die sie nicht hat, und es ist besonders unüberlegt, sie zur Zielscheibe für die Ungeduld der Minderheit oder für erbostes Beleidigtsein zu machen. – Komm(t) mal wieder auf den Teppich!!! (PS: Wie die meisten wissen, bin ich KEIN Sozialdemokrat)
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Hold de fornærmede følelser udenfor!
Er der virkelig nogen der tror, at statsministeren holder grænsen lukket med glæde – eller fordi hun elsker at isolere Danmark – eller fordi hun „vil andre lande mere end Tyskland“??? Især fra Sydslesvig kan vi høre den gamle klynkende sang igen-igen: sangen om at blive „svigtet“ (eller endda „glemt“).
Det er navlebeskuende – og rablende forkert at sætte de fornærmede følelser på, specielt når man er lederskribent (7. maj og 12. maj) e.l. Det er svært nok i forvejen for alle dem som p.t. ikke bare kan krydse grænsen som før. – Endnu værre bliver det når der „trues“ med, at mange sydslesvigeres „kærlighed til Danmark“ skulle være i fare… Vorherre bevares! Som sydslesviger behøves jeg ikke at „elske“ Danmark. Jeg er en del af det og har en del af det inde i mig. Mere er det ikke, men heller ikke mindre!
Statsministeren har ikke „tabt“ noget som helst „på gulvet“, bare fordi hun og hendes rådgivere endnu ikke kan overskue konsekvenserne af en total grænseåbning. – Det nytter ikke noget at tillægge hende motiver som hun ikke har, og det er særdeles uovervejet at gøre hende til målskive for sydslesvigsk utålmodighed eller arrig selvfornærmethed. – Ta’ det nu med ro!!! (NB: Jeg er IKKE socialdemokrat, som de fleste véd)
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Ein Licht für die Freiheit
Vor 75 Jahren (am 4. Mai 1945) kapitulierte die Nazi-Wehrmacht in Dänemark, Nordwestdeutschland und den Niederlanden
04.05.2020

Auch für Flensburg bedeutete der 4. Mai das offizielle Ende der Kriegshandlungen, selbst wenn sich führende Nazi-Verbrecher, u.a. mit Dönitz, Speer, Himmler und Höß, in der Stadt oder in der Nähe festgesetzt hatten, um teils noch bis zum 23. Mai „Reichsregierung zu spielen“ oder sogar Todesurteile zu vollstrecken oder sich der Verhaftung zu entziehen.
In Dänemark allerdings verbreitete sich am Abend des 4. Mai die Radionachricht von der Kapitulation der faschistischen Wehrmacht wie ein Lauffeuer: Das Land war nach fünf Jahren deutschem Besatzungsterror wieder frei – „Danmark atter frit“! Die blitzartige Besetzung des Königreiches am 9. April 1940 hatte auf die Bevölkerung wie ein Schock gewirkt. Eine Regierung der Nationalen Sammlung hatte in den ersten Jahren versucht, das Besatzungsregime einigermaßen erträglich zu gestalten und das dänische Volk musste dabei schmerzhafte Kompromisse, wie Zensur und Lebensmittelrationierung, ertragen. Doch nicht nur in der Arbeiterbewegung regte sich Widerstand, auch die Sabotageaktivitäten der durch die Londoner Exilpolitiker und die britische Regierung unterstützten Widerstandsgruppen nahmen stark zu.
Nach verschärften Drohungen der deutschen Besatzungstruppen trat im August 1943 die Sammlungsregierung zurück und die faschistischen Besatzer führten ein scharfes Besatzungsregime ein, das die bis dahin stark eingeschränkte Souveränität, zum Beispiel die Polizeihoheit Dänemarks, beendete. Mit dem Ende der Besatzung im Mai 1945 musste Dänemark etwa 5.000 Opfer beklagen; knapp 1.000 von ihnen hatten im Widerstand ihr Leben verloren – und etwa 600 wurden in den faschistischen Konzentrationslagern umgebracht, von ihnen 500 jüdische Mitbürger*innen, die nicht wie 7.000 andere nach Schweden entkommen konnten. Fast 1.900 Seeleute kamen im Atlantikkrieg ums Leben.
Als an diesem Mai-Tag die Verdunkelung von Häusern und Wohnungen, die Zensur und bald auch die Rationierung von Lebensmitteln aufgehoben wurden, kehrte das „Licht der Freiheit“ ins gesamte Land zurück. – Symbolisiert wird dies am 4. Mai in ganz Dänemark bis heute durch brennende Kerzen in vielen Fenstern. Das lädt zum Nachmachen ein – als leuchtendes Bekenntnis für „Nie wieder Faschismus! – Nie wieder Krieg!“
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Jeg ønsker alle en god 4. maj.
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Dänemark: Ein linker Krisenplan
Linkspartei Enhedslisten legt detaillierten Plan zur Überwindung der (Corona-)Wirtschaftskrise vor. – Das wäre auch „anderswo“ nachahmenswert…
26.04.2020

Während derzeit die etwas „forschen“ Diskussionen um ein schnelles (?) Wiedereröffnen von Geschäften und Institutionen die Medienlandschaft prägen, hat Dänemarks rot-grüne Partei Enhedslisten an Schwerpunkten für die Zeit „danach“ gearbeitet und auch Finanzierungskonzepte vorgelegt. – „Wir können nun eine nachhaltigere und sozial gerechtere Gesellschaft schaffen“, schreibt die Partei dazu auf ihrer Webseite. „Wir brauchen Investitionen in die ökologische Klimawende, in den Sozialstaat und in Sicherheit für die Arbeitslosen, indem wir Beschäftigungsmöglichkeiten und die Wirtschaft stärken.“
Vier Bereiche stehen im Mittelpunkt des Plans (hier nur kurz genannt):
1. Umwelt-Investitionen zum Schutz von Klima und Beschäftigung in Höhe von ca. 7 Milliarden Euro
2. Investitionen in den Sozialsektor von jährlich 800.000 Euro zusätzlichen Finanzmitteln, um in den kommenden 5 Jahren bis zu 20.000 neue Stellen im Gesundheits-, Pflege- und Erziehungsbereich zu schaffen
3. Sicherheit für Arbeitslose, u.a. Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 90 Prozent
4. Eine sozial gerechte Finanzierung der Krisenbewältigung, u.a. einen staatlichen Investitionsfond für Unternehmen in Höhe von rund 8 Milliarden Euro
Insgesamt veranschlagt Enhedslisten in den kommenden fünf Jahren 147,3 Milliarden Kronen (knapp 20 Mia. Euro) für Investitions- und Wirtschaftsförderungskonzepte. Zum derzeitigen Finanzierungsplan der sozialdemokratischen Minderheitsregierung von 122,4 Milliarden Kronen (16,3 Mia. Euro) fordert Enhedslisten neben einer Umwidmung geplanter Ausgaben also staatliche Mehrausgaben von rund 3,5 Milliarden Euro in den kommenden fünf Jahren.
Der teils sehr detaillierte Krisenplan von Enhedslisten zeigt übrigens auch, wie konstruktiv die Rolle einer Tolerierungspartei bei einer Minderheitsregierung aussehen kann. Schon jetzt hat Enhedslisten in der Regierungspolitik der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen wichtige Akzente setzen können. Das funktioniert ohne feste Koalitionsbindung in vielen Bereichen gut, und viele notwendige Verhandlungen über die Parteigrenzen hinweg verlaufen effektiv und auch mit der Möglichkeit, „linke Akzente“ zu setzen.
Dieses Tolerierungsmodell (das übrigens in mehreren Ländern Normalität ist), sollte die deutsche LINKE stärker in ihrer Diskussion über eine mögliche (?) „Mitte-Links“-Regierungskonstellation berücksichtigen… – Und davon abgesehen: Einen konkreten, zusammenhängenden Finanzierungsplan für eine veränderte Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik sollte auch die Linkspartei der Öffentlichkeit nicht allzu lange vorenthalten…
Für Dänischsprachige hier zwei vertiefende Links (Enhedslisten/DK):
1. Startseite der Krisenplan-Webseite
2. Finanzierungsplan (PDF)
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🇵🇹 „25 de Abril sempre! – Fascismo nunca mais!“
Portugal begeht morgen den 46. Jahrestag der demokratischen Nelkenrevolution. Ihre Werte sind tief in der Bevölkerung verwurzelt.
24.04.2020

Morgen am 25. April jährt sich die portugiesische Nelkenrevolution (A Revolução dos Cravos) zum 46. Mal. – Im Jahr 1974 befreiten Teile des Militärs das Land von der fast 50-jährigen faschistischen Diktatur und erhielten dabei binnen kurzem die breite Unterstützung des Volkes. Insbesondere der sozialistische und kommunistische Widerstand wurde nun für die jahrzehntelange Untergrundarbeit und für Folter und Haft durch den berüchtigten Geheimdienst PIDE entschädigt. In wenigen Stunden war Portugal frei und begann einen teils schwierigen Weg zur Demokratie.
Ein freiheitlicher Sozialismus, wie anfangs von vielen erstrebt, wurde es nicht, Dagegen gab es Widerstände im bürgerlichen Lager wie auch im Ausland, denn Portugal war Mitglied der NATO… Dennoch: Der errungene Sieg über den Faschismus hat bis heute für einen in der Bevölkerung lebendig gelebten und tief verwurzelten Antifaschismus gesorgt. Rechtextreme Kräfte haben daher im Atlantikstaat so gut wie keine Chance.
Die jährlichen Feierlichkeiten am 25. April sind bei kleineren Veranstaltungen und bei großen Manifestationen bis heute ein klares Bekenntnis für Freiheit und Demokratie – und immer steht dabei auch die soziale Gerechtigkeit im Vordergrund. – Auch in Lissabon ziehen daher alljährlich Hunderttausende zusammen mit den Linksparteien und den starken Gewerkschaften durch die Stadt um das gemeinsame Bekenntnis abzulegen: „25. April für immer! – Nie wieder Faschismus!”. Das Zeichen der Befreiung ist dabei die rote Nelke. Sie in einem Gewehrlauf des Militärs zu sehen, ist aufgrund der damaligen Ereignisse, kein Widerspruch.
Für mich als 12-Jähriger war die Nelkenrevolution eines der ersten und einschneidendsten Ereignisse, die mich schon früh als „Linken“ prägten. Informationen dazu holte ich mir oft aus dem Fernsehen der DDR, das den Freiheitskampf der Bevölkerung immer wieder dokumentierte. – Nur wenige Monate nach dem April 1974 erlangten die früheren Koloniegebiete Angola, Mosambik, Cabo Verde, Guinea-Bissau und São Tomé e Principe ihre lang ersehnte Unabhängigkeit. Die Nelkenrevolution ist daher ein heute (außerhalb Portugals) oft zu wenig beachtetes, europäisches und internationales Ereignis.
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🇵🇹 Vor 10 Jahren: Eyjafjallajökull…
Oder: Wie ein isländischer Vulkan mich in Lissabon ausbremste und auch der dänischen Königin (ein wenig) näher brachte…
14.04.2020

Im April 2010 war ich in Salvador da Bahia (Brasilien), als in Island der Vulkan Eyjafjallajökull ausbrach… Davon hatte ich in den dortigen Nachrichten kurz etwas mitbekommen, aber es war eine knappe Meldung ohne Dramatik. Drei Tage später musste ich zurück nach Europa. Erst am Flughafen wurde klar, dass durch die große Vulkan-Aschewolke bereits weit über die Hälfte aller Flüge in und nach Europa gecancelled worden war – auch meiner von Salvador mit der „TAP Portugal“ nach Lissabon! Doch der brasilianische Service war trotz der Ereignisse recht unaufgeregt und buchte mich über Fortaleza auf eine dort startende TAP-Maschine nach Lissabon um.
Über den Anschlussflug am nächsten Morgen nach Hamburg gab es in Salvador allerdings keine Informationen… Die erhielt ich dann nach meiner Ankunft am 18.04. in Lissabon: Im europäischen Luftraum ging inzwischen nichts mehr! Das Personal am Lissaboner Flughafen war schon etwas aufgeregter, denn tausende „Gestrandete“ standen dort überall in langen Schlangen an den Informationsschaltern – auch ich, gleich in mehreren nacheinander… Die Auskunft lautete – wenn auch in verschiedenen Sprachen – immer gleich: „Wir können nichts für Sie tun, es gibt keine Flüge“…
Also machte ich mich nach zwei Stunden Airport-Chaos aus dem Staube und fand nach einer kurzen Busfahrt das „Hotel Roma“ im mir schon recht gut bekannten Stadtteil Areeiro. Dort herrschte angenehme Ruhe und freie Zimmer gab’s auch, sogar für eine unbekannte Anzahl Übernachtungen – Ótimo! (Perfekt!). – Als ich allerdings eine gute Stunde später wieder in die weiträumige Empfangshalle herunterkam, sah es dort aus wie am Flughafen…! Alle mir inzwischen von dort Nachgefolgten suchten nach Zimmern – und inzwischen war das „Roma“ total ausgebucht. Ich zwängte mich durch das hektische Gewühl vor der Rezeption und entfloh in die Stadt, die ich ja von ein paar Besuchen vorher schon kannte.
Lissabon erschien mir als der „beste Ort der Welt“, um in diesem kontinentalen Flugchaos, in dem nichts mehr ging, „zwischenzulanden“… Nicht nur mit dem Hotelzimmer hatte ich also viel Glück gehabt… – An den nächsten Tagen fuhr ich nach dem Frühstück immer wieder zum Flughafen, um irgendeinen Rückflug zu ergattern, denn die Service-Hotline der TAP war ständig hoffnungslos überlastet. – Aber vor Ort waren die Schlangen lang, und Flüge gab es auch keine… Das hieß: „Lissabon und ich“ gehörten erstmal zusammen – und das gefiel mir ausnehmend gut… So nahm ich mir die Zeit, viele neue Orte zu Fuß oder (etwas außerhalb) auch mit Metro und Bus zu erkunden. Es wurden herrliche Tage…
Am fünften Morgen auf dem Flughafen gab es dann eine unerwartete Wendung: Ich hörte eine kleinere dänische Touristengruppe, in der eine Rückfahrt per Reisebus besprochen wurde. Der Bus sei für den nächsten Tag mit drei Fahrern gebucht, es fehlten nur noch weitere Reisende, die sich an den recht hohen Fahrtkosten beteiligen könnten. Wir kamen schnell ins Gespräch, und ich wurde ebenso schnell Teil dieser Reisegruppe – zumal der Bus über Flensburg nach Kopenhagen fahren sollte. Am nächsten Morgen (23.04.) war die Abreise für 7 Uhr morgens verabredet…
„V.I.P.“ stand draußen am Bus, und er erwies sich als ein „Luxusliner“ – modern und mit viel Platz. Als der erste Fahrer uns per Mikrofon etwas außerhalb von Lissabon begrüßte, wurde meine Vermutung bestätigt: Nur eine Woche vorher war die dänische Königin Margrethe II. nebst royaler Familie zu ihrem 70. Geburtstag mit diesem Bus mehrmals durch Kopenhagen gefahren worden! – Nicht schlecht, dachte ich und genoss die Reise noch ein bisschen mehr…
Es ging durch die Beira, eine schöne und abwechslungsreiche portugiesische Landschaft, die ich später noch mehrmals bereisen sollte, danach durch Nordspanien und das Baskenland (San Sebastián). Kurz vor Mitternacht fuhren wir nach Frankreich hinein, aber ich schlief bereits und wachte erst in Belgien wieder auf… Fast 40 Stunden dauerte diese besondere, 2400 Kilometer lange Reise, bis ich am darauffolgenden späten Abend in Harrislee bei Flensburg ausstieg. Ich hatte (zumindest in ihrem ersten Teil) einen bleibenden Eindruck davon bekommen, wie schön es sein könnte, irgendwann einmal mit dem Auto nach Portugal zu fahren…
Diese Autoreise steht immer noch aus, aber die herrlichen Tage in und um Lissabon vor genau 10 Jahren hatten meine Neugier und meine Reiselust geweckt: Seither war ich schon 25mal in Portugal und habe nahezu alle Regionen dieses wunderschönen Landes bereist. Gut 10 größere Autotouren sowie einige Bus- und Zugfahrten führten mich in historische Dörfer, zu unzähligen Burgen, in stille Landschaften, an alle Küstenabschnitte und in viele liebenswerte Städte, und jedesmal war ich natürlich auch in Lissabon. – Dem hitzigen Eyjafjallajökull in Island habe ich es also zu verdanken, dass „Portugal und ich“ nun seit 10 Jahren eine gute Paarung geworden sind. Und das wird ganz sicher auch so bleiben…

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Auch jetzt taugt die EU nichts…
Oder: Warum das Freiluft-Singen der „Europahymne“ falsche Illusionen nährt
29.03.2020

Nur wenige wissen vielleicht noch, wie die Ursprungsorganisation der EU bis in die 70er Jahre hinein hieß: „EWG“ – Europäische Wirtschaftsgemeinschaft… Und genau das ist sie im Grunde bis heute geblieben. Eine eigentliche „Union“ gab es nie, schon gar nicht für die 400 Millionen Menschen, die heute in ihr leben. Die Institutionen der EU sind immer vom Wohl und Wehe der Nationalstaaten, deren Mehrheitspolitik und Wirtschaftseliten abhängig gewesen.
Die EU ist also nichts Anderes als eine „AG“, die ihre Mitgliedsländer auf der Grundlage von zweifelhaften Verträgen wirtschaftlich und außenpolitisch koordiniert – oder: „auf Linie bringt“, und nach außen diese Bereiche bündelt, um in der Welt „konkurrenzfähig“ zu bleiben, sich abzuschotten bzw. neoliberal aufzustellen und eine militarisierte Außenpolitik zu perfektionieren. – Genau das hat in den letzten Jahrzehnten fast reibungslos „geklappt“…
In Zeiten der Corona-Krise schauen nun noch mehr Menschen auf die EU und stellen bestürzt, verwundert oder enttäuscht fest, dass die EU-Institutionen (wieder mal) gar keinen gemeinsamen Fahrplan für die Krisenbewältigung haben… Stattdessen handeln die Nationalstaaten nach eigenen Maßgaben – mal mehr, mal weniger erfolgreich. In den grenznahen Regionen wird dies für viele Menschen derzeit besonders deutlich.
Ausgerechnet jetzt wird klar, dass alle emotionalen Bekenntnisse à la „Wir sind alle Europäer“ und schicke Träume von einer „Republik Europa“ nur Illusionen sind und auch bleiben werden. – Seitens der politischen und wirtschaftlichen Eliten werden diese Illusionen genährt und befördert, um sich den Rückhalt für neoliberale und aggressive Politik zu sichern. Darauf sind im EU-Wahlkampf vor knapp einem Jahr leider auch viele progressive und linke Parteien und Wähler*innen hereingefallen – ein ESC-ähnliches Festival der Illusionen, nach dem sich die Eliten übers Weitermachen freuen durften…
Bei der „europäischen Freizügigkeit“ war ihnen die Freizügigkeit ihres Kapitals, ihrer zollfreien Waren und ihrer billigen Arbeitskräfte immer wichtiger als der pass- und visumsfreie Reiseverkehr. Er war nur der „Bonbon“, der bei den Menschen den „europäischen Traum“ beflügeln und verankern sollte. Auch das hat leider bei vielen Menschen „geklappt“… Und dass das EU-Parlament gar kein eigenes Initiativrecht zur Gesetzgebung (und damit gar keine demokratische Selbstständigkeit) hat, verdrängen die meisten ohnehin.
Da fällt es vielen gar nicht mehr auf, dass die EU gar keine Sozial-, Arbeitsmarkt- oder Gesundheitspolitik macht – und dies gemäß ihrer Verfasstheit weder kann noch soll noch will. Und so nimmt die EU, von der so manche*r jetzt fälschlicherweise konsequentes Corona-Handeln erwartet, auch diesmal nur am „Spielfeldrand“ Platz…
Also, betrachten wir die EU spätestens ab jetzt als das, was sie ist (und sein will): ein globaler Player für neoliberale Wirtschaft und militarisierte Außenpolitik, und nicht ein kontinentaler Verbündeter für eine bessere Welt! – Was wir sozial- und gesellschaftspolitisch (auch klimapolitisch) erreichen wollen, findet „zu Hause“ in den Nationalstaaten statt. Daran hat sich nie etwas geändert.
Das wissen übrigens auch die vielen Menschen, die von Armut bedroht oder betroffen sind. Sie haben (zu Recht!) mit europäischen Träumen auch nichts im Sinn und überlassen sie Teilen der gutsituierten Mittelschicht, die sich solche Träume noch leisten können und derzeit leicht verzweifelt „Alle Menschen werden Brüder“ von ihren Balkonen schmettern…. Das klingt hübsch, bleibt symbolisch-inhaltsleer – und ändert nichts!
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„Wer nicht aufnimmt, zahlt!“
Die EU darf sich einer akuten Flucht-Rettung nicht länger entziehen und muss schnell ihre Außen- und Handelspolitik ändern!
09.03.2020

Es sind „unsere“ Flüchtlinge – so habe (auch) ich es schon früher genannt. Und genau deshalb ist es auch die Aufgabe der reichen westlichen Länder, die Ursachen für Flucht zu stoppen, die „wir“ selbst geschaffen haben und immer noch am Laufen halten – dazu gehören die ausbeuterische Dumpingpreis-Politik für Agrarprodukte auf afrikanischen Märkten, fehlende Vor-Ort-Hilfe gegen den lebensbedrohlichen Klimawandel, aber auch die aggressive Kriegs- und Dominanzpolitik des Westens (NATO, USA und EU) im Nahen und Mittleren Osten, besonders in Syrien, Afghanistan, im Irak oder auf der arabischen Halbinsel.
Nach 2014/15 kamen viele Menschen auch deshalb aus der Krisenregion im Nahen Osten nach Europa, weil es nicht genug Hilfen für die Flüchtlingslager im Libanon und anderswo gab – ja, die Gelder waren sogar gekürzt worden. Außerdem hatte sich der auch vom Westen forcierte Bürgerkrieg in Syrien verschärft, indem radikal-islamistische Mörderbanden geduldet, teils sogar unterstützt wurden, nur um die syrische Regierung zu beseitigen und um „Putin eins auszuwischen“. Die Brutalität dieser Entwicklung vertrieb Hunderttausende aus ihrer Heimat, einige davon in Richtung EU. – Für beides trägt der Westen die Verantwortung.
Niemand begibt sich freiwillig und ohne Not auf lange, lebensgefährliche Fluchtrouten. Weltweit sind es über 70 Millionen Menschen, im Umfeld der EU 3, 4 oder 5 Millionen. Sie suchen Schutz und eine materielle (Über-)Lebensgrundlage für sich und ihre Familien, die sich oft genug noch immer in den Krisengebieten befinden – wo es genau das nicht mehr gibt.
Sie abzuwehren und in noch größere Gefahr zu bringen, darf nicht die Antwort sein – weder am und im Mittelmeer, noch in der Ägäis noch an den Landgrenzen in Südosteuropa. Dafür gibt es nicht nur ethisch-humanitäre Gründe, die teils auch in weltweiten Konventionen festgeschrieben sind – sondern vor allem die Verantwortung für die fürchterlichen Zustände in Afrika und im Nahen und Mittleren Osten!
Nicht die Türkei braucht „Sicherheitszonen“ in Syrien, die sie sich gegen das Völkerrecht mit aggressiven Kriegsaktionen zu nehmen versucht, sondern die Menschen brauchen sie. – Und genau dafür müssen zumindest die EU-Staaten (auch gegen USA und Türkei) im UN-Rahmen schnellstens sorgen: Erstens durch die Beendigung der Sanktionen gegen Syrien und ein umfangreiches Wiederaufbauprogramm und zweitens durch Wohnungsbau, Schulen und eine umfassende Gesundheitsversorgung in internationalen Schutzzonen, z.B. in Nord-Syrien, sowie eine stark erhöhte Unterstützung für Flüchtlingslager im Libanon und in Jordanien, wo 2 Millionen Kriegsflüchtlinge leben.
Derzeit jedoch sind akut 15.000 Menschen im Niemandsland an der türkisch-griechischen Grenze (vor der EU) und mehr als doppelt so viele auf den griechischen Inseln (in der EU) in großer Not, auf den Inseln bereits seit Monaten, an der Landgrenze durch Erdogans mieses Machtspiel seit wenigen Wochen. – Die Verhältnisse dort sind unmenschlich und müssen schnell beseitigt werden. Genau diesen Menschen muss daher durch eine schnellstens zu regelnde Aufnahme als Kriegsflüchtlinge bzw. Asylberechtigte in der EU Schutz geboten werden. Das Asylrecht muss sofort wieder in Kraft gesetzt und angewendet werden
Die rund 50-60.000 Menschen könnten sehr bald in die gesamte EU aufgenommen werden. – Wer dabei alle Mitgliedsländer einbeziehen will, sollte folgenden Grundsatz anwenden: „Wer nicht aufnimmt, zahlt!“ (oder erhält dementsprechend weniger EU-Fördermittel). – So gäbe es Geld für die Länder, die humanitäre Hilfe leisten. Wie viele Zloty, Kronen, Forint oder Euro zu bezahlen wären, lässt sich sicherlich leicht berechnen… – Allein in der BRD gibt es 140 Städte (darunter auch Flensburg) und Gemeinden, die kurzfristig zur Aufnahme bereit sind. – Ihnen sollten aus politischem Kalkül auf Bundesebene keine Hindernisse in den Weg gelegt werden. Die 140 „offenen Häfen“ sind vielmehr ein wichtiges (und pragmatisches) Angebot einer humanitären Hilfe für Menschen in Not.
Die inzwischen aus den aktuellen Anlässen heraus neu entfachten Diskussionen über gänzlich „offene Grenzen“ übersieht hingegen einige wichtige Aspekte. Eine solche Maßnahme kann deshalb nicht gelingen, weil die allermeisten EU-Staaten keine Politik machen, die dies rechtfertigen würde (eine grundlegende Änderung ist nicht absehbar). Für neu Ankommende würde deshalb eine angemessene Aufnahme eine Illusion bleiben. Italien, Spanien oder auch einige osteuropäische Länder zeigen, unter welch menschenfeindlichen Umständen sich viele Geflüchtete dort aufhalten.
Darüber hinaus sind EU-weit mehr als 20% der Bevölkerung von materieller Armut betroffen oder bedroht. Diese Verwerfungen sind durch die uns seit Jahrzehnten bekannte neoliberale Politik erzeugt worden. Viele von ihnen sind zu einer Akzeptanz nur schwer bereit, solange sie selbst nicht genug Wohnraum zur Verfügung haben und solange ihre materielle Lebensgrundlage durch zu niedrige Löhne und Mindestsicherungen in Gefahr gebracht wird. Nein, es wurde ihnen nichts genommen, aber das, was ihnen „gegeben“ wird, ist entschieden zu wenig und bedient Ängste und Unverständnis!
Genau dies ist der Punkt, der 2015 von der Politik konsequent beiseite geschoben wurde und der zur Entdemokratisierung (und teils Radikalisierung) in Teilen der Gesellschaft beigetragen hat – und sei es „nur“ dadurch, dass rechte Rattenfänger seither das Ende des lieb gewonnenen Abendlandes verkünden… Verkraftet hat die Gesellschaft dies bis heute nicht. – Da hilft es auch nicht, sich die eigene Weltsicht dadurch glattzubügeln, dass Skeptiker eines ungeregelten Zuzugs in die rechte Ecke gedrückt oder sogar als Rassisten oder als Nazis gebrandmarkt werden…
Erst wenn durch eine faire Handelspolitik, grundlegende Vor-Ort-Hilfen und eine konsequente Friedenspolitik (dafür gibt es konkrete und umsetzbare Maßnahmen!) die Fluchtursachen nicht nur mit hohlen Phrasen, sondern durch humanitäres Handeln konkret angegangen werden, lassen sich Flucht, Asyl und (Arbeits-)Migration so in den Blick nehmen, dass daraus kein massenhaftes Fluchtelend, keine unerträglichen Szenen auf dem Meer oder an den Grenzen und auch keine gesellschaftlichen Verwerfungen mehr entstehen können. – Solange das nicht geschieht, bleiben Millionen von Menschen „unsere“ Flüchtlinge…!!!
Jetzt allerdings muss in den oben beschriebenen akuten Notfällen konkrete Hilfe geleistet werden! Die 140 „offenen Häfen“ hierzulande leisten einen wichtigen Beitrag dazu.
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Eine unerträgliche Situation in Griechenland!!!
Aber dies ist nur ein weiteres Zeichen für die seit Jahren falsche Politik der Abschottung und der Konfliktanheizung des Westens!
02.03.2020

Seit langem trägt Griechenland die Hauptlast im Umgang mit aus der Türkei ankommenden Flüchtlingen (überwiegend aus Syrien, dem Irak und Afghanistan). In diesen Tagen spitzt sich die Situation an der Landgrenze in Nordgriechenland zu. Tausende Menschen befinden sich im Niemandsland, werden gewaltsam am Grenzübertritt gehindert (und die, die es geschafft haben, eingesperrt). – Auf den Inseln gibt es seit langem unerträgliche Zustände in den überfüllten Flüchtlingslagern.
Mag sein, dass die griechischen Behörden den hilflosen Menschen in Not nicht helfen können oder wollen – das ist schlimm genug und eine zehntausendfache Unterlassung von menschenwürdiger Hilfeleistung. – Doch das Problem liegt nur zu einem geringen Teil in Athen, auch wenn es nun den „brutalen Polizisten“ spielt.
Die EU-Staaten schauen diesen katastrophalen Zuständen wie unbeteiligt zu und beklagen bestenfalls die Zustände. Das tun und taten sie zumeist auch bei den anderen Fluchtkatastrophen – in Libyen, auf dem Mittelmeer oder in Italien und Spanien. Sie setzen auf „sichere Grenzen“ und haben so die griechischen Verhältnisse mit herbeigeführt, die das Land zu lösen nicht in der Lage ist.
Die EU hat den verwerflichen Fluchtverhinderungsdeal mit dem Erdogan-Regime herbeigeführt und sich auf dessen Einhaltung verlassen. Sie tragen deshalb auch Mitverantwortung dafür, dass dieser Deal nun geplatzt ist. Gleichzeitig führen westliche Staaten und die NATO in Syrien Krieg – und verbünden sich mit dem türkischen Aggressor, der völkerrechtswidrig in Syrien eingefallen ist. Das Anheizen von Krieg, Bürgerkrieg und Not gilt unter anderen Vorzeichen auch für den Irak und Afghanistan. Und sie lassen Teile Afrikas ausplündern und schaffen damit humanitäre Katastrophen.
Es sind also „unsere“ Flüchtlinge – und die EU-Staaten haben verdammt nochmal alles zu tun, um Elend in den Herkunftsgebieten und in den Gebieten, wo Flüchtende sich sammeln, zu bekämpfen und diesen Menschen materielle Hilfe, Unterkunft und notwendigen Schutz zu leisten – innerhalb oder außerhalb der EU! Und sie haben verdammt nochmal die militärische Politik zu stoppen inklusive aller Rüstungsexporte in mittelbar oder unmittelbar beteiligte Gebiete!
Für die EU stellt sich nun zum wiederholten Mal die Frage, was sie in Bezug auf Menschlichkeit und die Bewältigung von Not und Konflikten überhaupt wert ist. Bisher hat sie nicht nur kläglich versagt, sondern bewusst eine Politik gegen viele Millionen Menschen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika aktiv geführt und zugelassen. Das ist eine gänzlich unerträgliche Unmenschlichkeit!
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Haben wir nicht „etwas vergessen“?
Ein Kommentar zu 100 Jahren Volksabstimmung über die dänisch-deutsche Grenze: Das bürgerlich geprägte Geschichtsbild blendet die Realität der breiten Bevölkerung aus!
15.02.2020

So wie auf dem Foto sieht ein Teil der dänisch-deutschen Grenze heute aus. Grenzkontrollen (welcher Art auch immer) sind wieder alltäglich geworden, auch wenn nicht alle immer ihre Pässe vorzeigen müssen. – Und „wir“ haben einen „Wildschweinzaun“ verpasst bekommen, der so gar nicht in das Idealbild eines „grenzenlosen Europa“ passt – und genau deshalb vielfältige Proteste in Teilen der Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenze hervorgerufen hat.
Es ist also nicht „alles gut“ in der dänisch-deutschen Grenzregion zwischen Kongeå und Eider, auch wenn derzeit bei vielen Anlässen und Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum das Verbindende zwischen beiden Nationen und nicht zuletzt der kulturell vielfältigen Bevölkerung herausgestellt wird. Und das ist auch gut so, denn die Menschen in Sønderborg (Sonderburg) und in Schleswig (Slesvig) verbindet im Alltag mehr als sie trennt.
Die nationale Frage „Was ist dänisch und was ist deutsch?“ (und wer bekommt nach dem 1. Weltkrieg welche Gebiete?) steht seit 200 Jahren über der Region. Sie war Anlass für zahlreiche Kriege und Konflikte, besonders im 19 Jahrhundert, die noch lange danach in das Leben der Menschen hineinwirkten und sie oft vor nationale Entscheidungsfragen stellte, die für ihren Alltag aber nur eine untergeordnete Rolle spielten. Und dennoch wurden viele in die nationalistischen Exzesse ihrer Regierungen in Berlin oder Kopenhagen hineingezogen – oder sie fühlten sich letztendlich doch gezwungen, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden.
Für viele Land-, Industrie- und Hafenarbeiter war die kulturelle Vielfalt im Grenzland jedoch viel pragmatischer als das ständige nationale Bekenntnis für die eine oder andere Seite. „Man“ verständigte sich auf Platt, Synnejysk oder den beiden Hochsprachen Dänisch und Deutsch, „man“ aß fast den gleichen Grünkohl, das gleiche angedickte Gemüse usw. usf. – Und: „Man“ lebte ein karges Leben und schuftete oft genug für den Profit anderer!
Die Volksabstimmung von 1920 war wegen der übergeordneten politischen Situation notwendig geworden, nicht zuletzt wegen der Aggressivität des deutschen Imperialismus Bismarck’scher Prägung, der den ganzen Kontinent in Brand gesetzt und zuvor bereits dem seit 1864 einverleibten Nordschleswig (Sønderjylland) seinen deutschen Willen aufzuzwingen versucht hatte. Die Menschen in der Grenzregion waren „unter die Räder gekommen“, viele fühlten sich verletzt oder persönlich erniedrigt. Hunger und Trauer um gefallene oder verletzte Angehörige gab es in allen Bevölkerungsgruppen.
Als 1920 die neue Grenze gezogen wurde, gab es einen politisch inszenierten und national überhöhten Wettlauf um die Seelen und Wahlstimmen. Auch das tat vielen sicherlich „in der Seele weh“, aber sie entschieden sich, auch wenn es oft „zwei (oder mehr) Seelen in der Brust“ gab. – Es war gezwungenermaßen eine nationale Entscheidung, nach der sich nicht wenige Menschen „auf der falschen Seite“ wiederfanden. Kurz danach manifestierte sich diese oft gar nicht so eindeutige Entscheidung glücklicherweise in der Entstehung zuerst dänischer und danach auch deutscher Minderheitenorganisationen im jeweils anderen Land.
Bjarke Friborg schrieb in diesen Tagen in einem Artikel über das 100-jährige Jubiläum für das linke Online-Portal solidaritet.dk: „Was die Feierlichkeiten typischerweise nicht berücksichtigen, ist die gewaltige soziale Polarisierung und das Erstarken der Arbeiterklasse, die ganz andere und größere Pläne hatte als diejenigen, die auf das Nationale begrenzt waren. Die dänisch-nationale Bewegung in der Region wurde von Bürgerlichen angeführt – ebenso wie ihre deutsch-nationalen Kontrahenten.“
Was derzeit also gefeiert wird, ist ein Produkt der bürgerlich-nationalen Entscheidungen, das zwar aus heutiger Sicht „gut gegangen“ ist, aber einen großen Teil der Bevölkerung und ihrer Lebensumstände in der gesamten Grenzregion ausblendet.
Friborg verweist zu Recht auf die Bildung von Arbeiterräten auch in dänischen Städten des damals noch deutschen Nordschleswigs der Jahre 1918/19. Die dortigen Genossinnen und Genossen hatten die gleichen Ziele wie diejenigen in deutschen oder anderen europäischen Städten: Die Überwindung des Kapitalismus, der mit Nationalismus und Imperialismus das Leben der Bevölkerung in den Abgrund gezogen hatte – und die Errichtung einer neuen sozial gerechten Gesellschaft, in der nicht mehr der Profit der Industriekonzerne oder der Landbesitzer im Zentrum zu stehen hatte, sondern die Bedürfnisse der zahlreichen Land- und Industriearbeiterklasse.
„Wir feiern“ also im Jahr 2020 zu sehr die Inhalte einer bürgerlich geprägten Geschichtsschreibung und „vergessen“ dabei die Lebensumstände weiter Teile der Bevölkerung – oder „wir“ sollen es vielleicht auch vergessen. – Den eigentlichen Beitrag der offiziellen Politik für die Anerkennung kultureller Vielfalt in der Grenzregion leistete wohl eher die Kopenhagen-Bonn-Erklärung von 1955, die im Nachgang der erniedrigenden Besetzung Dänemarks durch den Hitlerfaschismus ein wichtiges Signal auch für die Situation für die Bevölkerung zwischen Kongeå und Eider darstellte.
Das nun freie Bekenntnis der Menschen zu den Kulturen der Grenzregion löste Teile der überwiegend national geprägten bürgerlichen Politik auf. Jeder und jede kann seitdem so viel dänisch, deutsch oder friesisch sein, wie sie oder er es möchte. Niemand muss dies rechtfertigen oder verteidigen – und es gibt durch geförderte Institutionen die Garantie für das jeweilige kulturelle und sprachliche Bekenntnis. – Wir sollten uns also eher auf das 75-jährige Jubiläum dieser Erklärungen im Jahr 2030 vorbereiten, denn da geht es nicht um das „Entweder-Oder“ sondern um das viel weitergehende „Sowohl-als-Auch“, das auch zu Anfang des 20. Jahrhunderts viele Menschen beiderseits der neu gezogenen Grenze fühlten.
Wie sehr der Aspekt der Arbeiterklasse in den meisten Aktionen dieses Jubiläumsjahres verdrängt wird, zeigt eine Stellungnahme der damals jungen KPD: „Das Proletariat hat kein Interesse am Abstimmungsergebnis und hält sich deshalb auf Abstand“. – Nun, ganz so eindeutig wird es bei den Abstimmungen nicht gewesen sein, aber dieser Kommentar zeigt die weit verbreitete Sehnsucht nach der Überwindung des unheilbringenden Nationalismus von Politik, Eliten und Bürgertum. – Eine Botschaft, die auch heute noch aktuell und diskussionswürdig ist.
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Hier Bjarke Friborgs Artikel „Historien om Genforeningen mangler et klasseperspektiv“ (in dänischer Sprache) auf solidaritet.dk lesen
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Nicht Norden, sondern Mitte!
13.02.2020

Neulich hatte ich ja hier den „echten Norden“, mit dem Schleswig-Holstein sich zu vermarkten versucht, am Wickel… Es gab darauf ein paar nette (auch mündliche) Reaktionen. – Deshalb gibt’s heute eine zweite geographische Betrachtungsweise, diesmal zu meiner Heimatstadt Flensburg. – Legt man mal Luftlinienentfernungen an, liegt weder Flensburg noch der „echte Norden“ im Norden Europas, sondern fast in der „Mitte“!!! Von hier aus sind die Grenzen des Kontinents nahezu gleich weit (1900-2000 km) entfernt – nach Reykjavík ebenso wie nach Südspanien, ins norwegische Kirkenes, nach Porto in Portugal, ans Schwarze Meer oder nach Sizilien. „Hätten Sie’s gewusst?“ – Nur bis an den Ural, die Ostgrenze Europas, muss man noch einmal 1000 km extra drauflegen… Gute „Reise“ in alle Himmelsrichtungen…!
(NB: Die unterschiedlich langen Entfernungslinien sind einer nicht maßstabsgetreuen, nach Norden „gestreckten“ Darstellung der Originalkarte geschuldet.)
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Geographie – mangelhaft…!
28.02.2020

So geht mir das schon seit Jahren: Ich verlasse Schleswig-Holstein bei Kruså und lese kurz vor der Grenze „Auf Wiedersehen im echten Norden“… Wo befinde ich mich danach bloß??? Dänemark, Norwegen, Schweden – was ist das denn dann? Ich beginne in meiner nicht allzu schlechten Schulbildung zu kramen und merke, dass ich zweifele… Aber: Wenn das auf diesem Schild steht, muss es doch wohl stimmen!!!
Am dänischen Grenzübergang sehe ich die Flaggen der nordischen Länder… Moment mal: „Nordisch“??? Den „echten Norden“ habe ich doch gerade hinter mir gelassen. – Vor mir liegt also bestenfalls irgendein „falscher Norden“ – und das weit über 2500 Kilometer in Richtung Nordkap. – Is’ doch dreist, dass die Skandinavier ständig den „Norden“ in ihrem Munde führen – wenn die Schleswig-Holsteiner es doch dokumentiert haben, wer hier der „echte Norden“ ist, kurz nach Hamburg, in Nordfriesland oder auch bei Flensburg oder auch auf ihren Regionalbahnen!!!
Als ich dann mal wieder nach Flensburg zurückkam, wollte ich es wissen: Ich machte eine Europakarte im Internet auf und maß grob einige Entfernungen zwischen Daumen und Zeigefinger… Würde ich nach Hammerfest im Norden (!) Norwegens reisen wollen, wären das rund 2500 Kilometer – und das ist genau so weit wie eine Reise zur Stiefelspitze Italiens, kurz vor der Brücke hinüber nach Sizilien…
Danach lehnte ich mich entspannt zurück… Das mit dem „echten Norden“ ist nichts Anderes als ein doofer PR-Gag. Schleswig-Holsteins Lage auf dem europäischen Kontinent ist also eher „mittelmäßig“. Im BRD-Maßstab ist Schleswig-Holstein zugegebenermaßen die nördlichste Region… Und vielleicht sollen damit ja Touristen aus Niedersachsen, Bremen oder von sonst woher in der Republik angelockt werden.
Aber warum muss man dann an einer Schwedin oder einem Norweger beim Grenzübertritt nach Schleswig-Holstein kurz vor Flensburg erklären, dass sie erst jetzt in den wirklich „echten Norden“ kommen??? Die kriegen doch `nen Schock! Vielleicht fahren einige ja deshalb so unruhig – weil sie glauben, sie befinden sich auf falschem Kurs… Und ehrlich gesagt, ich find’s auch einfach nur albern!
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Warum die EU mit dem bestehenden Vertragswerk nichts taugt…
…und auch kein „Europa der Völker“ wird – Ein Kommentar zu 10 Jahren Lissabon-Vertrag
02.12.2019

Die herrschenden Eliten aus Wirtschaft und bürgerlich-sozialdemokratischer (und nun auch grüner) Politik hatten primär nie ein europäisches Konstrukt der EU (vorher: EWG und EG) im Interesse der Menschen im Sinn. Vielmehr ging es immer um Wirtschaftsinteressen und die Angleichung derselben gegenüber globalen Konkurrenten. Der Euro und die EU-Finanzpolitik, insbesondere in den Krisenjahren nach 2008, sind deutliche Belege dafür.
Die Passfreiheit im Schengen-Raum war und ist der säuerliche Drops, mit dem vielen Menschen der Blick vernebelt wird und der sie zu Begeisterung über ein geeintes „Europa“ hinreißen soll(te). Dieser Trick hat einigermaßen geklappt, wie auch die letzte EU-Wahl im Mai 2019 gezeigt hat. – Über die eigentlichen Absichten, wie sie in den Verträgen von Maastricht (1992) und Lissabon (2007/09) formuliert werden – und die einer wirklich sozialen, weltoffenen und klimafreundlichen EU entgegenstehen – wurde und wird (insbesondere in der BRD) so gut wie gar nicht gesprochen.
„Lissabon“ festigt seit 10 Jahren (trotz einiger Abstimmungsniederlagen in Irland, Frankreich und in den Niederlanden) das Primat der Interessen des Kapitals für eine soziale und menschenfeindliche neoliberal-kapitalistische Politik und öffnete – nicht zu vergessen – einer Militärmacht EU Tür und Tor. – Ursula von der Leyen ist nicht zufällig auf die Bühne der EU geschoben worden, denn es obliegt ihr (trotz aller blumig-rhethorischen EU-Wölkchen), dieses Rüstungsprojekt festzuzurren. Man darf auf ihre Bildnisse in Brüssel und in diversen Militärkasernen schon mal gespannt sein…
Bis in einige (auch die deutsche) Linksparteien hinein wurden und werden EU-Illusionen gepflegt und die eigentlichen radikalen Veränderungen nicht gefordert: Es reicht nicht, von einem „Neustart“ der EU zu reden, wenn der Kern der Wahrheit nicht ausgesprochen wird. Dieser Kern hei0t: Die neoliberal-militaristischen EU-Verträge müssen weg! – Danach (!) kann dann auch von einem glaubhaften „Neustart“ für eine europäische Staatengemeinschaft gesprochen werden.
Übrigens: Wo Linksparteien sich für diese klare „Anti-Lissabon-Linie“ präsentieren (wie in Portugal, Spanien, Dänemark oder Frankreich), fahren sie gute Wahlergebnisse ein. – Anderswo (wie in der BRD) ging die EU-Wahl für die Linken wegen ihrer nebulösen Haltung zu den EU-Verträgen voll „in die Büx“.
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C40-Großstadtgipfel vereinbart Klima-Kooperation
Weitgehend unbeachtet von bundesdeutschen Medien tagte in den vergangenen Tagen in Kopenhagen eine Weltklimakonferenz von über 90 Großstädten – und beschloss eine engere klimapolitische Zusammenarbeit
12.10.2019

Heute wohnt über die Hälfte der Weltbevölkerung in Groß- und Megastädten (2030 könnten es schon 75 Prozent sein) – und derzeit stehen die Städte der Welt (geografisch gesehen) für 70 Prozent des Ausstoßes schädlicher Klimagase (wirtschaftlich gesehen stehen die 100 größten Konzerne des Planeten für diese Prozentzahl). Zum weltweiten Klimanetzwerk „C40“ gehören derzeit über 90 Städte (aus der BRD nur Berlin und Heidelberg), die ein Zehntel der Weltbevölkerung und ein Viertel der Weltwirtschaft repräsentieren.
Deshalb sagte der UNO-Generalsekretär António Guterres bei der Klimakonferenz auch zu Recht: „Es sind die großen Städte, in denen der Kampf für ein besseres Klima gewonnen oder verloren wird.“. Die Städte sind es auch, wo Klimapolitik direkt vor Ort und im Dialog mit den EinwohnerInnen geplant, diskutiert und umgesetzt werden kann.
Ganz praktisch vereinbarten einige Städte auch konkrete Kooperationsprogramme miteinander: 34 Städte verabschiedeten eine Deklaration über Maßnahmen für eine bessere Luftreinhaltung, und 14 Städte vereinbarten, den Fleischkonsum zu begrenzen (die Fleischproduktion zählt global zu einer der grüßten Klimabelastung). Darüber hinaus erweitert sich der Kreis des „Deadline 2020“-Programms (in diesem Jahr auch durch Berlin) der Städte, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens voranzutreiben.
Kopenhagen hat sich in den letzten Jahren als eine Vorgängerin in Sachen Klimaschutz präsentiert: Seit 2005 sank der CO2-Ausstoß um 40 Prozent – und die dänische Hauptstadt hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bereits 2025 eine der ersten klimaneutralen Großstädte zu werden. Dazu beigetragen haben eine nachhaltige Stadtplanungs- und Verkehrspolitik. Insbesondere beim Ausbau des ÖPNV sowie beim Fahrradverkehr hat Kopenhagen bereits weitaus mehr erreicht als andere, vergleichbare Städte.
MEHR DAZU:
Hier mehr über das C40-Städte-Netzwek lesen (in englischer Sprache)
Hier das „Deadline 2020“-Programm lesen (PDF, in englischer Sprache)
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🇵🇹 „Von Portugal lernen…“ (?)
Bei den gestrigen Parlamentswahlen wurde die Lissaboner Links-Regierung gestärkt – eine positive und durchaus logische Folge der sozialen Politik der letzten vier Jahre. Ein Erfolgsrezept für linke Politik – auch anderswo…?
07.10.2019

Ein Kommentar von Herman U. Soldan
Ein paar Federn mussten der Linksblock Bloco de Esquerda (BE) und die Kommunistische Partei (PCP) zugunsten der regierenden linkssozialdemokratischen PS zwar lassen, doch dies ändert nichts am Erfolg der von BE und PCP tolerierten PS-Regierung. Nachdem die beiden Unterstützerparteien 2015 kräftig zulegen konnten (auch aus Protest gegen die unsoziale Sparpolitik der Konservativen in der vorausgegangenen Legislatur), haben sich einige ihrer Wähler wohl nun für die Stärkung des PS-Ministerpräsidenten Costa entschieden.
Die PS konnte die Konservativen, die 10 Prozent verloren, überrunden und noch gut vier Prozent (auf 38,65) zulegen. Der „Bloco“ büßte lediglich 0,5 Prozent ein, bleibt aber recht stabil bei 10 Prozent der Wahlstimmen (9,67), die PCP musste knapp 2 Prozent abgeben (6,46). – Eine Wahlniederlage der beiden Linksparteien ist dies aber wohl eher nicht, denn beide werden auch zukünftig eine Costa/PS-Regierung tolerieren und weitere soziale Fortschritte erreichen können.
Für Portugal insgesamt dürfte sich damit die konjunkturelle Erholung fortsetzen: Eine Halbierung der Arbeitslosigkeit, Beschäftigungsprogramme, höhere Löhne, Schuldenabbau und ein stetiges Wachstum insbesondere im Infrastruktur- und Sozialbereich kann die Linksregierung aus den vergangenen vier Jahren für sich verbuchen – und das alles gegen die gänzlich falschen Ratschläge der EU-Institutionen, die das portugiesische Volk zusammen mit konservativen Regierungen jahrelang im unsozialen Würgegriff gehalten hatten – und die immer weiter auf eine Sparpolitik zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit gedrängt hatten. – Investitionen statt unsozialer Kahlschlag ist also das erfolgreiche Rezept der portugiesischen Linksregierung.
Der „Bloco“ steht den LINKEN in der Bundesrepublik am nächsten. Doch beide Parteien haben in den vergangenen zwei-drei Jahren völlig unterschiedlich entwickelt. Während DIE LINKE bundesweit nur noch leicht über 7 Prozent liegt, somit ein Fünftel ihrer Wahlstimmen zu verlieren droht und sie von einer sich dezimierenden SPD nicht profitieren kann, bleibt der BE recht stabil bei etwa 10 Prozent – trotz einer ständig wachsenden PS und bei einer ebenfalls stabilen PCP!
Die Antwort auf diese Diskrepanz ist nicht ganz leicht zu geben, aber eine paar Eckpunkte für eine Erklärung gibt es schon:
1. Der „Bloco“ hat (bereits vor und nach 2015) seine Stärke durch eine stark prioritierte Sozialpolitik für sie Schwächsten der Gesellschaft und die untere Mittelschicht erlangt. Damit konnte zwar auch DIE LINKE 2017 noch leicht punkten (9,2 Prozent), aber es hatte bereits eine Umorientierung auf urbane (eigentlich „grüne“) WählerInnen-Schichten stattgefunden – mit der Konsequenz einer Abwanderung von materiell am stärksten Benachteiligten nach rechts. Bei mehreren Wahlen ging darüber hinaus das Fischen in „grünen“ Gewässern schief: Sympathie gab es, die Wahlstimmen gingen jedoch zu den Grünen… Die von einigen namhaften LINKEN entfachte Kampagne gegen Sahra Wagenknecht tat ihr Übriges dabei!
2. Dem BE ist es gelungen, mit gründlicher Arbeit und verständlichen Worten das Sprachrohr für eine sozial angelegte Klimapolitik zu werden. Grüne Konkurrenz musste sie dabei nicht fürchten. Er konnte mit einem detaillierten Klima-Wahlprogramm aufwarten, ohne dabei jedoch das soziale Engagement in den Hintergrund geraten oder holzschnittartig werden zu lassen. – Hier hat sich DIE LINKE teilweise selbst aufs Glatteis geführt. Bei einer derzeit dominanten grünen Partei, die bei 20-25 Prozent liegt, streben einige LINKE noch immer an, die besseren „Grünen“ zu sein. Das mag bei den Forderungen sogar richtig sein, kommt aber weder verständlich genug rüber noch gelingt es, die eigentlichen WählerInnen-Schichten damit anzusprechen.
Im äußeren Erscheinungsbild gibt es daher (etwas zugespitzt) „Klima-Linke“ und „Sozial-Linke“, die sich über die Prioritäten nicht recht einig werden können (oder wollen). Das ergibt ein uneinheitliches und ziemlich verheerendes Bild – und rächt sich abermals durch Desinteresse bei den eigentlichen sozialen Zielgruppen. – Nur wenige, darunter Sahra Wagenknecht, können in diesem selbstgeschaffenen Spagat argumentativ bestehen und eine hohe Popularität bewahren. Für ein positives und ansprechendes Gesamtbild der LINKEN reicht das jedoch nicht mehr aus.
3. Das Tolerierungsmodell einer linkssozialdemokratischen Regierung durch BE und PCP ist aufgegangen – weil es in der politischen Landschaft Portugals (und vieler anderer europäischer Länder) akzeptiert ist. Insbesondere linken Parteien bietet dieses Modell generell auch die Möglichkeit, bei bestimmten Fragen an ihren eigenen Positionen festzuhalten, auch wenn sich die Regierungspartei für den einen oder anderen Beschluss andere (eher ungeliebte) Parteien suchen sollte. In Dänemark ist dies übrigens Tagesgeschäft und belebt sowohl die Konkurrenz als auch bisweilen die Debattenkultur in Politik und Gesellschaft.
Es wäre also möglicherweise eine passende Reaktion der LINKEN auf die stark veränderte politische Landschaft in der BRD – im eigenen wie auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Koalitionen auf Kommunal- oder Landesebene sind eine andere Sache, denn wichtige Fragen von Sozial-, Klima-, Friedens- und Gleichstellungspolitik werden nun mal in Berlin entschieden und erfordern unter Umständen eine andere Herangehensweise. Die von einigen LINKEN jüngst erneut angestoßene Debatte um eine „Rot-Rot-Grün“-Koalition wird linken Macht- und Mitbestimmungsansprüchen also nur unzureichend gerecht (mal abgesehen davon, dass sie derzeit nicht erreicht werden kann!) – und birgt das Abstrafen bei den nächsten Wahlen in sich. Sie verstärkt aber auch das althergebrachte parlamentarische System, das immer auch die kapitalistischen Machtverhältnisse bewahrt!
Das Ergebnis der aktuellen Wahl in Portugal oder auch der EU-Wahl vom vergangenen Mai gibt also auch für DIE LINKE genug Anlass, „lernen“ zu wollen und gleichzeitig parteiintern wie auch parlamentarisch neue Wege zu gehen. Dafür jedoch muss die Debatte endlich eröffnet – und nicht immer wieder gedeckelt und bis ins Frühjahr 2020 verschoben werden, denn dann fallen Analyse und Neuanfang nur noch schwerer.
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Brüsseler Spitzen – Oder: „Es geht nicht nur um Uschi…!“
Ein Kommentar von Herman U. Soldan (DIE LINKE Flensburg)
17.07.2019

Nun kocht die Stimmung wieder hoch – denn die EU-Regierungschefs haben nach der EU-Wahl „Frau Minister“ Ursula von der Leyen (CDU) als Kommissionspräsidentin in die Manege des EU-Parlaments geschickt… Sehr „geschickt“! – Aber das war kein Coup, sondern die eigentlich gängige Prozedur, wie sie in den Regularien der EU vorgesehen ist.
Dies zeigt deutlich, wo die Macht in der EU eigentlich liegt – und das sollte ja hinlänglich bekannt sein: In einem Staatenbündnis wie der EU liegt das Zentrum der politischen Macht bei den Regierungen der 27 teilnehmenden Staaten (also im „Europäischen Rat“), ein Klub der RegierungschefInnen, die nur durch nationale Wahlen legitimiert sind – denn die EU ist weder ein Staat noch ein Bundesstaat (glücklicherweise, möchte ich angesichts der Situation in einigen Mitgliedsstaaten bemerken). Von daher ist es nur konsequent, dass das EU-Parlament eher eine Abseits-Rolle einnimmt.
Vor knapp zwei Monaten fand die EU-Wahl statt – und auch wir LINKE haben für ein gutes Ergebnis „gekämpft“. Aber es handelte sich eigentlich nur um das Sammelsurium von 27 nationalen Wahlen mit nationalen Parteien, die dann zu einem EU-Ergebnis zusammengerechnet wurden. Daher war das sog. „Spitzenkandidaten-Prinzip“ nichts anderes als Blendwerk, um den WählerInnen einzubilden, sie hätten es (wie bei Landtags- oder Bundestagswahlen) mit einer echten Wahl für eine/n „Quasi-RegierungschefIn“ (= EU-Kommissionvositzende/r) zu tun, denn auf den allermeisten EU-Wahlzetteln standen sie ja gar nicht zur Wahl – und EU-weite Parteien gab es auch nicht zu wählen!
Aber das war eben nur der schöne Schein und nicht die verfassungsmäßige Realität. – Peinlich war es dann auch, dass im „bunt zusammengewürfelten“ EU-Parlament nach der Wahl selbst keine Mehrheit für eine/n eigenen Kommissions-KandidatIn zustande kam… Chance verpasst – und die eigene Position geschwächt, bedeutete dies! Und dies bedeutete dann konsequenterweise freie Bahn für den „Hohen Rat“…
Dass U. v.d. Leyen keine perfekte Kandidatin war, liegt auf der Hand – nicht nur wegen ihrer ministeriellen Unfähigkeit in diversen Bundesregierungen. Sie ist konservativ und in den zugehörigen politisch-ökonomischen Netzwerken gut vernetzt, aber sie war nun mal die Kandidatin der größten EU-Parlamentsfraktion – und musste „das (EU-)Blaue vom Himmel versprechen“, um eine Mehrheit zusammenzubekommen. Das hat nun knapp geklappt… Aber viel Macht hat sie dennoch nicht, denn den Rahmen ihres politischen Handelns setzt ihr… der EU-Rat der RegierungschefInnen (so steht es auch in den EU-Regularien)! Eine wirkliche politische Kompetenz hat sie also nicht.
Und: Wir haben doch alle gewusst, dass die EU nicht wie ein demokratischer Bundesstaat organisiert ist – und wir haben doch alle gewusst, dass das EU-Parlament und auch die EU-Kommission nicht wie in einer Regierungsdemokratie funktionieren… Und dass das eigentliche Machtzentrum die 27 Regierungschefs sind, haben wir doch auch alle gewusst… – Oder wollten wir es etwa nicht wissen und haben das Marionettenspiel einer „Europäischen Wahl“ viel zu kritiklos mitgespielt?
Wollte auch meine Partei DIE LINKE all dies nicht wirklich wissen und schon gar nicht nach „draußen“ thematisieren, als sie ihre bunten Plakate ohne EU-Bezug aufhängen ließ? – Wo war das Plakat à la „Bitte wählen gehen, auch wenn’s nicht viel bringt!“…? Nein, sie wollte es nicht thematisieren, weil sie nicht in die EU-kritische Ecke gestellt werden wollte und falsche „Europa-Illusionen“, die sie teils selbst genährt hatte, nicht enttäuschen wollte. Neben einigen falschen Wahlstrategien war dies wohl ein weiterer zentraler Fehler.
Andere europäische Linksparteien, wie der portugiesische Linksblock (Bloco de Esquerda, BE) oder die rot-grüne dänische Enhedslisten (EL), hatten da etwas mehr Mumm, kritisierten die Schein-Demokratie der EU deutlicher – und sammelten recht gute Wahlergebnisse ein! Eine fundierte EU-Kritik zahlt sich also aus. Sie macht zumindest deutlich, dass das EU-Parlament keine Institution wie ein nationales oder regionales Parlament oder ein Stadtrat ist. Wir haben eben kein „solidarisches Europa“ gewählt, sondern lediglich eine recht zahnlose Versammlung von national gekürten PolitikerInnen mit beschränkten Befugnissen.
Ich persönlich halte die EU für den (verfassungsmäßig so gewollten) verlängerten Arm von Banken und Konzernen – und dies repräsentieren die EU-Regierungen im Rat auch nur allzu deutlich. Dennoch mag es vorteilhaft sein, dass sich die EU-Mitgliedsländer zur Kooperation verpflichtet haben – auch wenn dies bei sozial-, migrations- und friedenspolitischen Fragen nicht funktioniert. Aber genau diese Themen liegen eben nicht in der EU-parlamentarischen Kompetenz – weil es durch die EU-Verträge gar nicht gewollt ist! Stattdessen: Neoliberalismus, zunehmende Armut, Abschottung und eine EU-weite Militärpolitik.
Meine Konsequenz daraus müsste (wenn ich es wirklich zu Ende denken wollte) immer noch dieselbe sein, die ich schon 1992 (anlässlich der dänischen Volksabstimmung über die EU-Masstricht-Verträge) an meine Autoscheibe geklebt hatte: „Nej til unionen“ (Nein zur Union)… Heute, fast 30 Jahre nach der Etablierung der Union (und wegen der immer deutlicheren Konzern- und Wirtschaftsglobalisierung), ist so eine Haltung allerdings weitaus schwieriger… Zugegeben, auch ich befinde mich also in einem „EU-Dilemma“, aber ich habe es immer thematisiert – und genau das erwarte ich von „meiner“ Partei auch…. „Uschi hin, Uschi her“!
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