Meine persönliche Stellungnahme zum Beschluss des schleswig-holsteinischen Landesparteitags Die Linke (Kiel, 29./30.10.2022) für einen Ausschluss Sahra Wagenknechts aus der Bundestagsfraktion

Werte Genoss*innen des Landesvorstandes Schleswig-Holstein, des Bundesvorstandes und der Leitung der Bundestagsfraktion,
heute nehme ich zu einigen Ereignissen um den Landesparteitag der schleswig-holsteinischen Linken am 29. und 30.10.2022 in Kiel Stellung.
In einer „Zusammenfassung“ des Parteitages, den die neuen Landesvorsitzenden Susanne Spethmann und Luca Grimminger nur wenige Tage danach per E-Mail an die Mitgliedschaft versandten, steht folgendes zu lesen: „Ebenfalls wurde ein Dringlichkeitsantrag beschlossen, der sich deutlich von den populistischen Akteur*innen innerhalb unserer Partei distanziert. Es kann nicht sein, dass eine Mehrheit unserer Partei Beschlüsse erarbeitet und dann einer kleine, aber sehr laute Minderheit diese öffentlich in Frage stellt, und die gesamte Partei lähmt und schlecht redet. Mit dieser Art und Weise wollen wir uns als Landesverband nicht weiter abfinden. Daher forderte der Landesvorstand den Bundesvorstand und die Bundestagsfraktion auf, endlich konkrete Handlungen auf den Weg zu bringen.“
Zu dieser Äußerung und zum gesamten Zusammenhang meine Bemerkungen:
1. Die beiden Dringlichkeitsanträge (beide Anträge wurden beim Parteitag zu einem Antrag zusammengefasst) wurden den Mitgliedern des Landesverbandes erst am 28.10. gg. 15 Uhr per Mail zur Kenntnis gegeben – also nur knapp 20 Stunden vor Beginn des Landesparteitages. Ich konnte die Mail erst gg. 19:45 Uhr lesen; so manche*n wird sie womöglich noch später erreicht haben. Insbesondere bezüglich der inhaltlichen Tragweite der Anträge hatten kritische Mitglieder, besonders wenn sie keine Delegierten waren, keinerlei Möglichkeit mehr, im Rahmen von außerordentlichen Kreismitgliederversammlungen, Rücksprachen mit den Delegierten oder auf andere Weise zu den Anträgen Stellung zu nehmen oder diese zu verhindern. Mit Transparenz und innerparteilicher Demokratie hat dieses Vorgehen nichts zu tun. Der Hauptantrag muss allerdings „hinter den Kulissen“ schon vorher kursiert sein, sonst hätte der Lübecker Kreisvorsitzende A. Müller dazu nicht seinen verschärfenden Ergänzungsantrag verfassen können. Es bedarf nicht viel Fantasie festzustellen, dass es sich bei dieser Vorgehensweise des (alten) Landesvorstands und der Landesgeschäftsstelle nicht um ein „Versehen“ handelt, sondern um ein Vorgehen, das die Mitgliedschaft und den Parteitag mit Tatsachen konfrontieren sollte. Es spricht übrigens nicht für die Situation des Landeverbandes, des Vorstandes (alt wie neu) sowie der Parteitagsdelegierten, dass es bei der Behandlung der Dringlichkeitsanträge kein Veto gegen die formalen Umstände und auch keinen deutlichen Widerstand gegen den stark polarisierenden Inhalt beider Anträge gab. Mir legt sich die starke und ungute Vermutung nahe, dass hier einer ebenfalls nicht parteiöffentliche „Parteitagsregie“, der es um alles in der Welt um die Zustimmung zu den Anträgen ging, Geltung verschafft wurde.
2. Niemand hat „Beschlüsse öffentlich in Frage gestellt“ oder dagegen verstoßen. Da sich die Vorsitzenden – wie auch die Verfasser*innen des Ursprungsantrages (zu denen Spethmann und Grimminger zählen) – nebulös auszudrücken belieben und keine(n) Namen nennen, wird an dieser Behauptung klar, dass sie nicht richtiger wird, wenn man sie zum 127. Mal wiederholt! Doch niemanden wird überraschen, dass es um Sahra Wagenknecht – allein bzw. um weitere Genoss*innen in der Bundestagsfraktion und anderswo – geht und gehen soll! Das ist ein ziemliches Herumgeeiere, um vermeintlich unangreifbar zu bleiben, während aber gleichzeitig die Kanonen für die Spaltung von Partei und Bundestagsfraktion schussbereit gemacht werden – gegen Ziele bzw. Parteimitglieder, die den Antragsstellenden und ihren Verbündeten nicht in den Kram passen und ihren Zielen zur Erlangung der Deutungshoheit in der gesamten Linkspartei vermeintlich im Wege stehen. Was für ein jämmerliches Erscheinungsbild!
3. Mit den „Beschlüssen“ könnten und dürften wohl auch „Beschlüsse“ zur Sanktionspolitik der Bundesregierung gemeint sein. Sahra Wagenknecht und andere haben genau diese Politik scharf kritisiert und tun es glücklicherweise immer noch. Sie stehen damit auf dem Boden linker Programmatik und auch des Leitantrages des letzten Bundesparteitages (Zur Erinnerung: „Wir stehen für eine Politik, die Demokratie, Frieden und Völkerrecht mit zivilen Mitteln verteidigt und Alternativen zur militärischen Logik stark macht. (…) Sanktionen, die sich vor allem gegen die Bevölkerung richten oder zur Verarmung im Globalen Süden beitragen, lehnen wir ab.“). Das tut übrigens auch Gregor Gysi, der sich in seinen jüngsten Medienstatements vehement für eine Beendigung der falschen Wirtschaftssanktionen ausgesprochen hat. Ihn aber trifft kein Bannstrahl einiger Bundes- oder Nord-Linker – auch kein propagandistischer Anwurf, „populistisch“, „AfD-nah“ oder gar „Putin-Anhänger“ zu sein. Was der schleswig-holsteinische Landesverband da beschlossen hat, ist nichts Anderes als eine perfide Verschärfung der innerparteilichen Konfrontation aus reinen Machtinteressen und als Konsequenz einen Bruch der Partei.
4. Der Antrag ähnelt in Duktus und Inhalt nicht unerheblich dem Aufruf der sog. „progressiven Linken“ (vom 11.10.2022) – und es ist auch kein Zufall, dass in beiden Texten die Genossen L.G. Beutin (stv. Parteivorsitzender) und L. Grimminger (Kreisvorsitzender Flensburg und frisch gewählter Landesvorsitzender) namentlich erscheinen. Insbesondere Beutin hat sich über Jahre an der Anti-Wagenknecht-Front ins Zeug geschmissen, medial und auch bei Parteisitzungen, eng begleitet von Cornelia Möhring. Der Eindruck, dass insbesondere Beutin seine (Mit-)Initiative an besagtem Aufruf zu einem Beschlussantrag des Kieler Parteitages einsetzt, ist nicht von der Hand zu weisen. Das gute Dutzend der namentlich genannten Antragsteller*innen ließ sich von ihm wohl leicht gewinnen, denn Beutin „arbeitet“ schon lange daran, viele Genoss*innen auf seiner Seite zu haben und ihm unliebsame Mitglieder ins Abseits zu befördern (die von ihm mit befeuerte Krise des Flensburger Kreisverbandes von 2019 ist nur ein deutliches Beispiel dafür; Grimminger wurde damals nach nur wenigen Monaten Parteimitgliedschaft in die Position des Kreisvorsitzenden gehievt). Damit und mit einem solchen Beschluss kann Beutin sich nun sogar im Karl-Liebknecht-Haus vermeintlich gestärkt in die Parteiarbeit werfen… Parteiarbeit? Nein, Beutin und seine Verbündeten inszenieren derzeit vornehmlich einen unerträglichen Intrigantenstadl, in dem es lediglich darum geht, die Partei mit den Floskeln der „Berwegungslinken“, „solidarischen Linken“, „Progressiven“ oder wie auch immer sie sich euphemistisch titulieren, zu dominieren und Machtpflöcke einzuschlagen. Es ist erschütternd, dass ihm dabei eine große Mehrheit der Kieler Parteitagsdelegierten vorsätzlich oder wider besseres Wissen folgt und zur Polarisierung und einer drohenden Spaltung in der Partei erheblich beiträgt. Dafür, dass die Anträge überhaupt behandelt wurden (s. Pkt. 1) und auch dieses Ergebnis erhielten, tragen der alte wie der neue Landesvorstand formell die politische Verantwortung.
5. Immer wieder ist aus dem Anti-Wagenknecht-Lager im Bund und im Land zu hören, die katastrophalen Wahldesaster der Partei bei den Bundes- und den Landtagswahlen im September 2021 bzw. Mai 2022 oder auch ein paar Dutzend Parteiaustritte müssten Sahra Wagenknecht und anderen Genoss*innen angelastet werden – und deshalb müsse sie „weg“. Diese Vorwürfe sind nicht nur haarsträubend falsch, sondern verklären ganz bewusst den Blick auf die wahren Ursachen für die krachenden Verluste und die eigene Verantwortung dafür. Sowohl außerhalb als auch während der beiden Wahlkämpfe haben sich der Landesverband und die Kreisverbände nach außen überraschend unengagiert gezeigt. In Online-Medien herrschte sogar wochen- und monatelange Stille, und größere eigene Aktionen oder thematische Veranstaltungen in der Öffentlichkeit waren außer ein paar Wahlständen und ein paar hundert Haustürgesprächen, die nichts retten konnten, absolute Mangelware. Diese Ideen- und Aktionslosigkeit setzt sich übrigens derzeit im bereits im Sommer von der Bundespartei verkündeten „Heißen Herbst“ fort; fast nirgendwo gibt es eigene Veröffentlichungen oder Aktionen, bei denen die Partei die Regie führt – weder landesweit noch in den Kreisen. Genau dies ist neben der falschen „bewegungslinken“ und de facto schon längst gescheiterten Ausrichtung von Partei- und Wahlstrategien der Grund dafür, dass sich niemand mehr wirklich für Die Linke interessiert (weder Niedrigentlohnte, Arbeitslose, Gewerkschaften noch die erhofften und umgarnten „Bewegten“). Die Linke hat keinen Stamm von Sympathisant*innen mehr, sondern wird überwiegend nur noch vom „harten Kern“ gewählt (im Osten 10%, im Westen 2%). Von den zuständigen Vorständen hat keiner diese Ursachen wirklich analysieren wollen und klammerte sich lieber an die (auch) von Beutin in verphraselten Thesenpapieren ausgegebene Parole „Sahra war‘s“. Ein sehr billiger Trick, der vorsätzlich gezündet wurde, um das Scheitern der eigenen Linie und damit auch von Machtpositionen nicht thematisieren zu müssen. Für die Partei als Ganzes ist diese Taktik wegen ihrer Ignoranz und ihren machtpolitischen Absichten verheerend!
7. Was derzeit (und auch schon früher) vom Kern des Anti-Wagenknecht-Flügels veranstaltet wird, ist ein permanentes innerparteiliches Trommelfeuer, um sich in der Partei die Deutungshoheit zu sichern und zu zementieren. Dabei verabreichen die so „Aktiven“ die falsche Medizin in immer höheren Dosen – falsche Beschuldigungen und persönliche Attacken inklusive. C. Möhring beispielsweise schließt eine Spaltung der Bundestagsfraktion nicht mehr aus und würde sich über das Weiterbestehen einer parlamentarischen Gruppe von Gleichgesinnten sogar freuen… Ein haarsträubendes Szenario! – Die Partei gerät dadurch in eine immer gefährlichere Situation. Doch solange die Spalter-Truppe sich in den Parteizirkeln der Zustimmung sicher sein und dort ihre reine Lehre feiern kann, kümmert sie das äußere Erscheinungsbild nicht. Dass sich bei Wahlen und Umfragen bereits seit Jahren immer Menschen kopfschüttelnd oder gar mit Grausen von der Partei abwenden, dafür werden vorsätzlich nur die falschen Verantwortlichen benannt (s. Pkt. 6). – Der in Kiel beschlossene Antrag auf Ausschluss Sahra Wagenknechts aus der Bundestagsfraktion ist eine bewusste Verschärfung dieses Kurses, der der Partei schweren Schaden zufügt und eigentlich vor eine Schiedsinstanz gehört. Doch von den beiden Bundesvorsitzenden Wissler und Schirdewan ist dazu keine Silbe zu vernehmen, müssten sie in ihrer Verantwortung solch aggressivem Treiben doch öffentlich Einhalt gebieten, schließlich ist der Kieler Parteitag damit bereits in die Medien gekommen (Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag, Neues Deutschland und andere mehr). So liegt der Eindruck nahe, die Vorsitzenden wollen dagegen gar keine Position beziehen, während sie bei Sahra Wagenknechts Bundestagsrede vom 08.09.2022 öffentlich die Nase rümpfen…
8. Abschließend: Der Kieler Landesparteitag, der ja öffentlich getagt hat, hat der Partei wie auch Interessierten außerhalb der Partei mit dem beschlossenen Dringlichkeitsantrag einen horriblen „Dienst“ erwiesen. Er setzt das innerparteiliche Trommelfeuer fort und verschärft es. Er löst nichts, sondern verschlimmert es. Er polarisiert, und falsche Mehrheiten vertiefen die schon seit langem ausgehobenen Gräben. Er legt es wie der Aufruf der Pseudo-„Progressiven“ auf die Spaltung der Partei und der Bundestagsfraktion an – allein das ist parteischädigend! Die Folgen in der Öffentlichkeit und Teilen der Mitgliedschaft (außerhalb Schleswig-Holsteins) sind verheerend. – Was die beiden schleswig-holsteinischen Landesvorsitzenden da also in ihrer „Zusammenfassung“ schreiben, ist nichts Anderes als eine taktische Nebelkerze, mit der sie ihre Verantwortung für die Mitverfasserschaft und die Annahme des ach so dringenden Dringlichkeitsantrages zukleistern wollen. Ihnen fehlt auch noch der Mumm einzugestehen, dass der Kieler Parteitag in ihrer und Beutins Regie einen Konflikt weiter anheizt, statt Wege für eine Lösung aufzuzeigen. Das übrigens ist (im negativen Sinne) „populistisch“!
Ich distanziere mich hiermit vehement vom Beschluss des Kieler Parteitags und von den internen Ereignissen und Intrigen, die im Vorfeld auf Landes- und Bundesebene dazu geführt haben!
Herman U. Soldan-Parima
(Mitglied im KV Die Linke Flensburg und Mitglied der Flensburger Ratsfraktion Die Linke)
PS: Da die Ereignisse des Kieler Parteitags inzwischen (presse-)öffentlich sind, erlaube auch ich mir, meine Stellungnahme der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
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Für Interessierte hier eine Auswahl meiner früheren Artikel zum Zustand der Partei Die Linke (aus meinem Blog www.herman-u-soldan.net):
• Kieler Intrigantenstadl – Oder: Wie die Linkspartei vorsätzlich in den Ruin getrieben wird (02.11.2022)
• Linkspartei: Jetzt wird die Spaltung offen betrieben! (14.10.2022)
•Linkspartei: Selbst verursachtes Chaos führt zur Implosion! (10.10.2022)
• Spaltung der Linke-Bundestagsfraktion bereits im Gespräch! (17.09.2022)
• Sanktionsfolgen: „Was wird eigentlich aus uns…?!“ (22.07.2022)
• Linke: Auch bei Sanktionen in der falschen Spur (07.07.2022)
• Die Linke: Jahrelang neben der Spur (20.05.2022)
• Linke-Absturz – auch vor Ort größtenteils hausgemacht (29.09.2021)
• Linke-Absturz – größtenteils hausgemacht (27.09.2021)
• Die „Bewegungs-Krux“ einiger Linker (29.05.2021)