
Es war einer der allerersten Beschlüsse des Landesparteitages der schleswig-holsteinischen Linken am 29./30.10.2022 unter Führung eines neu gewählten Landesvorstands: Sahra Wagenknecht soll auf Verlangen der meisten Delegierten aus der Bundestagsfraktion ausgeschlossen werden – und der Vorstand der Bundespartei möge dies mit vorantreiben…
Das dürfte dem Kieler Bundes-Vize der Partei, Lorenz Gösta Beutin, ehemals selbst Landesvorsitzender, wie auch einigen Verbündeten im Land und aus der gesamten Republik Freude bereitet haben, ebnen sie doch schon seit Jahren den Weg, nicht nur Sahra Wagenknecht, sondern auch andere Genoss*innen in den verschiedensten Gremien der Partei loszuwerden, um ihre eigene Parteilinie ein für allemal durchzudrücken und die Linkspartei auf die Linie verphraselter Begriffe und Algemeinplätze zu bringen. Sie nennen sich „Reformer“ (ihr Vorgehen ähnelt aber eher einem Putsch), „Bewegungslinke“ (allerdings ohne viel Resonanz in den Bewegungen) oder gar „Solidarische Linke“; doch Solidarität bleibt reines Wunschdenken, denn sie legen es auf den Bruch der Linkspartei an.
Trommelfeuer mit haltlosen Unterstellungen gegen Sahra W.
In den aktuellen Kriegs- und Krisenzeiten haben die Attacken auf Sahra W. noch einmal zugelegt – immer mit der fadenscheinigen Begründung, sie und andere würden gegen die Inhalte der Partei verstoßen. Das jedoch ist Humbug, denn das Parteiprogramm und Beschlüsse lehnen Sanktionen gegen die Zivilbevölkerung eindeutig ab, ebenso wie die Lieferung von Waffen in Kriegs- und Krisengebiete. Auch der konstruierte Vorwurf, Sahra W. würde in Bezug auf den Ukraine-Krieg eine „Täter-Opfer-Umkehr“ und damit „Putinismus“ betreiben, ist falsch, denn sie spricht stets von einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der russischen Führung und liegt damit auf der friedenspolitischen Linie der Linkspartei. – Und: Warum wollen die schleswig-holsteinischen Linken nicht auch Gregor Gysi, der mehrfach ähnlich argumentiert hat, aus der Fraktion jagen?!
Noch abstruser wird die Ausschließeritis durch den Vorwurf, Sahra Wagenknecht sei „nationalistisch“. Unter anderem damit versucht die Beutin‘sche Spalter-Truppe, sie in die rechte Ecke zu rücken und ihr das Recht, für die Linkspartei im Bundestag und anderswo zu sprechen, zu entziehen. Es geht ihnen also sowohl um Isolierung und Ausschluss, als auch um einen Maulkorb für Sahra W. – Dass nahezu alle zentralen Entscheidungen im nationalen Rahmen getroffen wurden und werden und auch auf dieser Ebene analysiert und kritisiert werden müssen, ignorieren die Akteure des unendlichen Intrigantenstadls geflissentlich.
Delegierte stimmen mit großer Mehrheit für weitere Eskalation
Beutin hatte nach mehreren Versuchen, den „Wagenknecht-Flügel“ mit vielen tausend Mitgliedern in der gesamten Partei mit falschen Anschuldigungen und Herabwürdigungen zu attackieren, erst jüngst ein Pamphlet zum Bruch mit dem „Wagenknecht-Flügel“ (mit-)initiiert. Dafür hatte er wohl, wie er es schon so oft tat, hinter den Kulissen mächtig die Strippen gezogen. Dass nun beim Kieler Parteitag ein ähnlicher Beschlusstext eingebracht wurde, der offen fordert, dass der Parteivorstand (Zitat) „die Linksfraktion im Bundestag in die Schranken weist“ (eines von Beutins derzeitigen Lieblingsthemen) und dass dieser sogar mit großer Mehrheit beschlossen wurde, verwundert daher nicht und sagt eher etwas über den Zustand des Landesverbandes, der Antragssteller*innen und der Delegierten aus.
Es wäre müßig, darüber zu spekulieren, wie viele der Delegierten einen oder anderen wohlfeil klingenden Floskel in diesem Antrag zu unkritisch oder gar ohne ausreichendes Faktenwissen auf den Leim gegangen sind. Denn das Ergebnis dieser Abstimmung ist besorgniserregend. Er befördert die Spaltung der Linkspartei sowie das immer schlechtere Standing der Partei in der Öffentlichkeit – und nur Beutin als Initiator und Multiplikator aller Anti-Wagenknecht-Kampagnen dürfte sich nun im Bundesvorstand damit brüsten können, dass „sein“ Landesverband ganz auf Linie liegt.
Doch mit der Mehrheit für diesen Antrag war es den knapp 60 anwesenden Delegierten des Landesparteitages noch nicht genug. Ein Ergänzungsantrag, der den Namen des Lübecker Kreisvorsitzenden trug, legte es auf die totale Konfrontation an: Er forderte den Ausschluss Sahra Wagenknechts aus der Bundestagsfraktion sowie: „Es muss sichergestellt werden, dass Sahra Wagenknecht im Bundestag nicht mehr für die Linksfraktion ans Rednerpult geht.“ – Über diesen Antrag, der de facto zur Spaltung der Bundestagsfraktion führen würde, muss die kollektive Begeisterung der Delegierten so groß gewesen sein, dass er ebenfalls mit großer Mehrheit angenommen wurde… Hinterher twitterten etliche Parteimitglieder dann von „guten Beschlüssen“…
Hemmungslose „Parteitagsregie“ für eine Spaltung der Linkspartei
Besonders delikat an den beiden Anträgen ist außerdem, dass sie der Mitgliedschaft und damit auch den Delegierten erst 20 Stunden vor Beginn des Parteitags durch die Landesgeschäftsstelle per Mail zugegangen sind. Eine Debatte oder auch die Einberufung von außerordentlichen Kreismitgliederversammlungen war dadurch nicht möglich – und für die „Parteitagsregie“ wahrscheinlich auch gar nicht gewollt. Auch beim Parteitag gab es keine nennenswerten Proteste gegen die rund 15 Antragsteller*innen, trotz sonstiger Bekenntnisse zu Transparenz und solidarischem Verhalten – und so nahm das Unglück nahezu ohne Widerstand seinen Lauf. Die Verantwortung dafür, dass dieses Last-Minute-Gaunerstück Teil des Kieler Parteitages werden konnte, und für die Folgen liegt beim alten sowie beim frisch gewählten Landesvorstand.
Nun, unter dem Strich bedeuten beide Entscheidungen nichts anderes, dass die schleswig-holsteinische Linkspartei offen auf einen Bruch der Gesamtpartei und der Bundestagsfraktion zusteuert und dieses auch für gut befindet. Das darf getrost als parteischädigend bezeichnet werden, zumal die eigentlichen Aufgaben der Partei hinter den dauerhaften Attacken verblassen und die Partei für viele Außenstehende noch unattraktiver macht.
Die Wahldesaster sind überwiegend selbst gemacht
Dass die Partei nun immer weiter zerrieben wird, ist allerdings bei allen Attacken mit eingeplant, denn der aggressive Lärm soll darüber hinwegtäuschen, dass die Wahlschlappen der Linkspartei bei Bundes- und Landtagswahl ihre Ursachen zu einem nicht geringen Teil auch vor Ort hat: In Schleswig-Holstein hat sich der Landesverband mit medialer Öffentlichkeitsarbeit und sichtbaren Aktionen und thematischen Impulsen äußerst „vornehm zurückgehalten“, sogar während der Wahlkämpfe – und in den allermeisten Kreisverbänden sieht es mindestens genauso dürftig aus. Ein paar Haustürbesuche, die alles herausreißen sollten, stoppten den Niedergang nicht. Ich habe zur landesweiten Ideen- und Aktionslosigkeit bereits früher Stellung genommen (siehe Linkliste unten).
Im Flensburger Kreisverband wurden so beispielsweise sehenden Auges die überdurchschnittlichen Gewinne der Partei den Bundes- und Landtagswahlen von 2017 verspielt, und die Partei verlor 2021/22 rund die Hälfte ihrer Wahlstimmen. Frühere thematische Schwerpunkte mit entsprechenden Öffentlichkeitsveranstaltungen wurden nach dem von Beutin (damals noch Bundestagsabgeordneter), seinem damaligen Flensburger Büromitarbeiter Jähring und einigen Anderen herbeigezwungenen Vorstandswechsel im Spätsommer 2019 bis heute nicht mehr durchgeführt. Das hinderte den damals ins Amt gehievten Kreisvorsitzenden Grimminger allerdings nicht daran, sich beim jüngsten Kieler Parteitag zum Landesvorsitzenden wählen zu lassen. Die Delegierten schien es nicht zu kümmern, dass seine bisherige Parteikarriere von Erfolglosigkeit gezeichnet ist…
Sahra W. soll Sündenbock sein für eigene Fehler. – Außenwirkung? Egal!
Nachdem die Wahlen 2021/22 krachend verlorengegangen waren, fiel den eigentlich Verantwortlichen in Schleswig-Holstein (auch in der Berliner Parteizentrale) zu den Ursachen dann auch nichts Besseres ein, als mit dem Finger auf Sahra Wagenknecht zu zeigen, die ihnen vermeintlich die Tour vermasselt haben sollte. Bis hin zu personenbezogener Hetze wurde sie attackiert, während sich die Verantwortlichen darum (bis heute!) herumdrücken, eine solide Analyse für die Wahlniederlage anzufertigen. Auch das schien die eingeschworenen Mitglieder nicht zu interessieren. Schließlich haben sie in Sahra W. einen Sündenbock gefunden, mit dem es sich in den Parteizirkeln prima einig sein ließ!
Das alles Sahra Wagenknecht, weiteren Bundespolitiker*innen oder „einfachen“ Parteimitgliedern in die Schuhe schieben und sie aus der Partei treiben zu wollen, ist ein mieser und widerwärtiger Versuch, trotz eigener gravierender Fehler die Deutungshoheit über die gesamte Partei zu erlangen. In der Öffentlichkeit löst dieser Intrigantenstadl von Beutin & Co. hingegen überwiegend blankes Entsetzen aus. Doch die Außenwirkung war den Spaltern eben nie besonders wichtig, solange sie miteinander sich selbst und ihre vermeintlich reine Lehre feiern können.
Nun steht zu befürchten, dass die Wähler*innen die schleswig-holsteinische Linkspartei nicht mehr nur wegen massiver Versäumnisse im Landesverband und in den Kreisen nicht mehr wählt, sondern auch wegen ihrer Machtexzesse und des Umgangs mit Parteimitgliedern. Denn: Die große Mehrheit schleswig-holsteinischen Funktionär*innen befindet sich auf uneinsichtigen Abwegen zu vielen linken Grundüberzeugungen, für die Die Linke früher einmal von vielen gewählt wurde.
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Dazu auch einige meiner früheren Artikel:
• Spaltung der Linke-Bundestagsfraktion bereits im Gespräch! (17.09.2022)
• Sanktionsfolgen: „Was wird eigentlich aus uns…?!“ (22.07.2022)
• Linke: Auch bei Sanktionen in der falschen Spur (07.07.2022)
• Die Linke: Jahrelang neben der Spur (20.05.2022)
• Linke-Absturz – größtenteils hausgemacht (27.09.2021)
• Die „Bewegungs-Krux“ einiger Linker (29.05.2021)
Ich verweise auch auf weitere Artikel, die in diesem Blog in der Rubrik „LINK(e)S“ nachzulesen sind: https://herman-u-soldan.net/linkes/
Ein Kommentar zu „Kieler Intrigantenstadl – Oder: Wie die Linkspartei vorsätzlich in den Ruin getrieben wird“