Susanne Hennig-Wellsow hat in einem aktuellen Aufsatz („Wir müssen reden“) eine „Aktualisierung“ linker Positionen in der Außenpolitik zur Diskussion gestellt, bietet aber selbst keine Optionen an. So gerät die Linkspartei eher in noch schwierigere Fahrwasser.

In diesem Artikel gehe ich auf einige Punkte der Ausführungen von der Parteivorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow ein (ihren Text hier lesen).
„Aktualisierungen“ linker Politik…? Die Vorsitzende Hennig-Wellsow stochert hier in einem Nebel herum, den sie mit produziert hat. Es wäre gut, nicht nur Fragen zu formulieren, sondern auch Antwortoptionen anzubieten. Denn: Es sind oft nicht die Fragen, die uns beunruhigen, sondern die Antworten, besonders wenn man sie in einer teils selbst verschuldeten Hilflosigkeit nicht findet oder nicht gibt!
Einige Fragen brauchen übrigens nicht neu beantwortet zu werden: Jedes Land hat das Recht auf Selbstverteidigung, wenn eine Aggression von außen hereingetragen wird. Das sagt aber nichts darüber aus, dass dies mit deutschen Waffen geschehen muss! Wenn die Bundesregierung nebst Union das (schon viel zu oft verletzte) Prinzip der Verweigerung von Waffen für Krisen- und Kriegsgebiete unter tosendem Beifall bricht, dann ist es Aufgabe der Partei, sich dem entgegenzustellen, statt mit Gefühlsduselei („Empathie“) diese klare Haltung aufzuweichen.
Und zur Nato: Natürlich gehört sie zugunsten einer neuen europäischen Sicherheitsordnung (auf Grundlage einer neuen „KSZE“) aufgelöst. Das haben wir doch nicht zum Spaß beschlossen oder aus Freude daran, dass die Nato immer das „Böse“ ist. Zur Vorgeschichte der aktuellen Situation, an der die Nato kräftig mit gezündelt hat, sagt die Vorsitzende nichts – und genau das ist problematisch. Übrigens gilt ja in der Nato das Prinzip, dass Staaten in einer Konfliktsituation nicht ins Bündnis aufgenommen werden. Genau darauf sollte sich Die Linke konzentrieren. Ja, wir müssen so stark sein, uns gegen durch Gewaltaktionen provozierte Nato-Mitgliedswünsche zu stellen. Für die falsche Politik in der Ukraine, wo ein Beitritt quasi erzwungen werden soll, sind Selenskyj (Verfassungsänderung!) und der Westen verantwortlich, nicht Die Linke.
Um auf einen aggressiven Völkerrechtsbruch zu reagieren, müssen Sanktionen diskutabel sein. Es kann aber nicht das Ziel und auch keine linke Position sein, ein Land dadurch – in diesem Falle: „Russland zu ruinieren“. In Russland leben Menschen, und ihnen hat unser Handeln zu gelten. Was der offizielle Nato-Westen seit Jahren mit Sanktionen tut, ist der Regime Change nach eigenem Gutdünken – das ist übrigens nicht in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht. Das gilt für Russland ebenso wie für Venezuela, Kuba oder andere Länder.
Wenn der Westen nun im Brustton der Überzeugung Kampflieder anstimmt, dann darf eine linke Partei nicht in Versuchung geraten, dort am Rande ein bisschen mitzubrummen. Das ist nicht nur feige, sondern macht konsequente linke Friedensforderungen unglaubwürdig. In Friedenszeiten wird die Friedenspolitik in der Bevölkerung breit respektiert oder gelobt. Dass die mediale Gehirnwäsche nun andere „Mehrheiten“ produziert, sollte Die Linke nicht in Versuchung führen, in diesen Gewässern zu fischen. Dort hat sie nichts zu gewinnen – und sie wird nichts gewinnen, denn die Chorsänger von Ampel und Union können immer noch lauter und noch falscher singen.
Ja, die aktuelle Situation hat einiges auf- und durcheinander gewirbelt. Es gibt neue Konstellationen und auch (teils unerfreuliche) Reaktionen. Aber wir sind eben nicht „in einer neuen Welt aufgewacht“, wo alle Regeln und Prinzipien (auch Parteipositionen!) nichts mehr gelten. Das zu behaupten, ist ein Teil der aktuellen PR, um die Militarisierung der Politik zu rechtfertigen und zu verstärken – und die westliche Beteiligung am Entstehen des Konflikts zu vertuschen.
Das alles darf traurig machen – gewiss, weil auch im Westen Lösungsoptionen derzeit nahezu keine Konjunktur haben. – Übrigens: Wenn „wir“ schon Politik und Kriege mit hemmungslosem Zorn oder Tränen emotionalisieren und damit auch auf den zweifelhaften Zug einer „wertegeleiteten“ Politik aufspringen, sollten wir auch Träneneimer für die Situation im Jemen (und anderswo) bereitstellen. Wenn „wertegeleitet“ sich nicht universell (!) an echten Werten orientiert, ist es eine Sackgasse für die eigene, analytische Handlungsfähigkeit.
Im Grunde gibt es viel weniger zu diskutieren oder neu zu beantworten, als es die Vorsitzende in ihrem Essay aufwirft. Wenn wir Fakten und die eigene Analysefähigkeit jetzt nicht anfangen auszublenden, dann hat Die Linke prinzipiell über die Jahre mit ihren Friedenspositionen vieles richtig gemacht – von einigen Pro-Nato-Schwächephasen, die auch die Vorsitzende im Sommer 2021 schon gezeigt hat, mal abgesehen… Mögen sie sich nicht wiederholen!