Oder: Auf die Mehrheit der Bevölkerung kommt es „nicht so“ an…

Oft ist es ja beim Zeitungslesen so, dass viele Artikel, die man sich zu Gemüte führt, ziemlich leicht „durchfliegen“: Entweder ist der Inhalt weitestgehend bekannt – oder auch überrascht einen die politische Haltung oder auch die tendenziöse Darstellung gar nicht mehr… Zweimal erhöhte sich jüngst allerdings mein Leser-Blutdruck mehr als sonst:
Heute Morgen las ich in einem Artikel des Flensburger Tageblatts über einen möglichen Nato-Beitritt des bislang konsequent neutralen Finnland Folgendes: „Dabei raten Sicherheitsexperten von einer Volksbefragung ab, Russland könnte dann mitmischen. (…) Aber auch ohne Eingriffe des Kremls könnte dem Beitritt eine Abfuhr erteilt werden – nach Umfragen vom Oktober befürworten 26 Prozent eine Nato-Mitgliedschaft, 40 Prozent sind jedoch dagegen.“
So so, die „Sicherheitsexperten“ propagieren also offen eine Ignoranz der finnischen Bevölkerung, um ihren militaristischen Kurs gegen Russland weitertreiben zu können, vermehrte Aufrüstung und aggressive Kriegsrhetorik inklusive! Nun, ganz neu ist das nicht. Aus gleichem Grund soll auch die bundesdeutsche Bevölkerung nicht über die USA-Atomwaffen in Rheinland-Pfalz mitreden dürfen. Auch die derzeitige aggressive Nato-Linie oder generell immer Geld für Aufrüstung behagt einer Mehrheit der Bevölkerung nicht. Doch statt einer Abstimmung wird lieber die mediale Daumenschraube angezogen, damit sich die Angst vor der Bedrohung aus dem Osten festsetzt und eine aggressive Außen- und Militärpolitik des ach so freiheitlich-demokratischen Westens auf weniger Widerstand in der eigenen Bevölkerung trifft!
Apropos Bevölkerung: Am 28.12.2021 brachte die Tageszeitung junge Welt in ihrer Rubrik „Zitat des Tages“ den folgenden Satz aus der konservativen Neuen Züricher Zeitung (NZZ): „Wenn die Kommunistische Partei Chinas von Demokratie spricht, meint sie damit, dass die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung in Gesetzesvorlagen berücksichtigt werden.“
Wie bitte…?! Nun kann (und sollte) man von China halten, was man möchte, interessanter ist allerdings der Zungenschlag der hier schreibenden, namentlich nicht genannten Person: Der Führung Chinas gehe es nur um den „Machterhalt“ – und deshalb mache sie Politik für „die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung“… – Na sowas! Ein solch machtbetontes Denken ist der demokratisch (!) gewählten Politik in unseren Breiten glücklicherweise völlig fremd…
Wo kämen wir denn auch hin, wenn die Bevölkerungsmehrheit gegen entwürdigend niedrige Löhne, Renten und Sozialleistungen, gegen Wohnungsmangel und Mietenexplosion, gegen zu hohe Preise für Grundversorgung und Lebensmittel, gegen das ständige milliardenschwere Aufrüsten – oder gegen die noch milliardenschwerere „Steuervermeidung“ der Reichsten in unserer Demokratie berücksichtigt werden würde!!! Es wäre ja geradezu blanker Populismus, wenn man sich in so grundlegenden Fragen nach der Bevölkerungsmehrheit richten würde! Bei uns gibt es solche chinesischen Demokratie-Mätzchen jedenfalls nicht… Und genau das sagt so einiges über die Eliten von Politik, Wirtschaft und Journaille aus – und erst recht über den Zustand der hiesigen Demokratie!
Zu viel Zeitunglesen ist offensichtlich auch gar nicht gesund – besonders wenn es bei solchen Themen den Blutdruck in ungeahnte Höhen treibt… Kreuzworträtseln sollte man stattdessen oder Kochbücher lesen – oder mal sehen, was bei Netflix so läuft. Da weiß man wenigstens von vornherein, was einen erwartet…