Teil 2: Kreis- und Landesebene – Wie im Bund verliert auch der Flensburger Wahlkreisfast die Hälfte der Wahlstimmen, doch nicht nur wegen des bundesweiten Desasters, sondern auch durch eigene Fehler. Auch auf Landesebene sieht es düster aus.

Bei der Bundestagswahl 2017 war es „gerade nochmal gut gegangen“: Die Linkspartei hatte – wohl besonders dank ihrer damaligen Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht – nochmal etwas Boden gutmachen und 0,6 Prozent zugewinnen können. Und das, obwohl einige hunderttausend früherer Wähler*innen ihr Kreuz schon nicht mehr bei der Linkspartei gemacht hatten.
2017 in Flensburg: Bundestrend mit Wahlstimmen-Rekord überholt
Im Wahlkreis 1 (Flensburg-Schleswig, WK1) konnte die Partei 2017 allerdings weitaus stärker zulegen als im Bund und erzielte die meisten Erst- und Zweitstimmen ihrer Geschichte. Auch in der Stadt Flensburg war dies (noch deutlicher!) der Fall, mit 10,8 Prozent der Erst- und 11,6 Prozent der Zweitstimmen. Erstmals überbot das Stadtergebnis das Bundesergebnis (9,2 Prozent), und das sehr deutlich – und Flensburg landete auf einem inoffiziellen, aber achtbaren 11. Platz aller westdeutschen Stadtwahlkreise. Auch der gesamte WK1 wurde mit vielen Wahlstimmen und klarem Abstand die Nummer 1 der Flächenwahlkreise des nördlichsten Bundeslandes. Highlights des Land- und Bundestagswahlkampfes von 2017 waren fünf Flensburger Veranstaltungen mit prominenten Gesichtern aus der Bundespolitik, darunter Sahra Wagenknecht und Fabio De Masi. An deutlichen sozialen Botschaften, unterstützt durch prominente Gesichter, hatte es also beim Wahlkampf im Wahlkreis 2017 nicht gefehlt – und dies hatte wohl zum Wahlerfolg erheblich beigetragen.
Nun jedoch ein katastrophaler Einbruch bei der Stimmenzahl: In Flensburg verlor die Linkspartei, verglichen mit 2017, fast 2.700 Stimmen und 5,6 Prozent, im gesamten WK1 sind es 5.600 Stimmen und 4,0 Prozent weniger. Vom 2017 erarbeiteten Vorsprung ist nichts übrig geblieben, denn die Verluste vor Ort sind genau so hoch wie auf der Bundesebene!
2021: Zu wenig „Kampf“ – zu viele Chancen liegen gelassen
Es macht also Sinn, darüber nachzudenken, wie es zum desaströsen Absturz kommen konnte. Die Gründe für den Absturz liegen nicht ausschließlich im zweimonatigen Wahlkampf der WK1-Kandidatin Katrine Hoop, aber auch nicht nur im negativen Bundestrend, wie es in ihren ersten Äußerungen verlautete, oder in neuer Parteienkonkurrenz. Selbst das erfolgreiche Abschneiden des SSW reicht als Erklärung nicht aus. Vielmehr musste Die Linke Wahlstimmen auch an andere Parteien abgeben und konnte nichts dazugewinnen. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, im Wahlkreis zum Beispiel die Grünen mit ihrem WK1-Kandidaten Habeck wegen dessen zweifelhafter Umweltpolitik als Landesminister, aber auch die SPD als in der GroKo allzu wenig sozial handelnde Partei wesentlich härter anzugehen. Auch ein paar Beispiele aus der Flensburger Kommunalpolitik wären hier hilfreich gewesen – und übrigens auch einige positive Erfolge der linken Stadtratsfraktion.
Aber warum geschah insbesondere Letzteres nicht…? Nun, der Kreisvorstand der Flensburger Linken, dem auch Katrine Hoop seit 2020 angehört, hatte nach einem Konflikt in der Ratsfraktion seit 2019 die Arbeit der Linksfraktion einfach ignorieri und tut dies bis heute konsequent! Im aktuellen Rechenschaftsbericht des Flensburger Vorstands wird die Ratsfraktion mit keinem einzigen Wort erwähnt – weder zu ihren ansonsten viel beachteten Vorstößen zur Höchstmiete von bezahlbaren Wohnungen, noch zu ihrem Einsatz für Schwangerschaftsabbrüche im neuen Krankenhaus, noch zu ihrer erfolgreichen Resolution zum Thema Atomwaffenverbotsvertrag – und auch nicht zu ihrem jüngsten Erfolg, der Einführung eines um 50 Prozent ermäßigten Sozialtickets (dem ersten in ganz Schleswig-Holstein!). Dem Flensburger Kreisvorstand und der Kandidatin war all dies nicht eine einzige Erwähnung, die zum eigenen Vorteil hätte gereichen können, wert…
So „mussten“ sich Katrine Hoop und die im Wahlkampf Aktiven mit Allgemeinplätzen des Bundeswahlprogramms an die Öffentlichkeit wenden – und die Kandidatin würzte dies hier und da noch mit einigen Betroffenheitsbeiträgen und der irrealen Hoffnung, bei einer Überbietung des WK1-Ergebnisses von 2017 als Nummer 3 der Landesliste sogar in den Bundestag einzuziehen… Dies hat nun noch nicht einmal mehr die Nummer 2 (der frühere MdB Lorenz Gösta Beutin) geschafft. Stattdessen ein landesweiter Einbruch in den städtischen Hochburgen und ein klägliches Ergebnis der Landesebene der Linkspartei, deren Vorstand auch diesmal eher unsichtbar blieb.
„Herz und Haltung“ reicht nicht!
Die Bundespartei hatte im Frühjahr „in letzter Minute“ dem Wahlprogramm einen starken sozialen Anstrich gegeben – mit aktualisierten Forderungen, die weitestgehend schon 2017 vorgetragen wurden. Allerdings stand zu befürchten, dass diese Ausrichtung die früheren Wähler*innen, von denen sich hunderttausende von der Partei abgewandt hatten, nicht mehr erreichen würde.
Auf der Flensburger Ebene kam von diesem sozialen Kern jedoch vergleichsweise wenig rüber. Stattdessen setzten die beiden beteiligten Kreisverbände auf eine Personalisierung der Kampagne mit Kandidatin Katrine Hoop. Sie sollte der „Joker“ sein, der Stimmen aus der dänischen Minderheit, aber auch von SPD und Grünen abziehen sollte. Auf jedem zweiten Wahlplakat war sie mit dem Slogan „Mit Herz und Haltung“ zu sehen, als sei ihre Kandidatur ein Selbstläufer. Doch das ging gründlich schief, und der erwartbare Minus-Trend konnte so im Wahlkreis erst recht nicht gestoppt werden. – Der Slogan an sich war so nichtssagend, dass er auch aus der Fitness- und Rücken-Kampagne einer gesetzlichen Krankenkasse hätte stammen können.
Warum haben die Kreisverbände die Kandidatin eigentlich nicht mit einem Slogan wie „Sozial gerecht – nur mit mir“ aus den Plakaten herauslächeln lassen, wenn man schon auf Personenplakate setzt…? „Herz und Haltung“, das war freundliche Beliebigkeit, die wohl nur wenige wirklich neugierig gemacht hat. Und so hat Die Linke im WK1 den Versuch der Bundespartei für einen Wahlkampfs mit sozialen Kernthemen sogar noch ein Stück beiseite geschoben – ein schwerer Fehler, wie sich heute zeigt.
Was Kandidatin Hoop im Wahlkampf so alles unternommen und geäußert hat, konnte übrigens fast nur in ihrem persönlichen Blog nachgelesen werden (soziale Kernbotschaften waren auch dort nicht in der Mehrheit), die beiden Kreisverbände in Flensburg und Schleswig veröffentlichten davon allerdings nicht besonders viel auf ihren Seiten.
Unzureichende mediale Wahlkampfunterstützung in den Kreisverbandsmedien
Der Kreisverband Flensburg schaffte es in drei Monaten vor der Wahl auf seiner Webseite gerade mal, vier (!) Posts zur Bundestagswahl von der Bundesseite zu teilen; eigene schriftliche Veröffentlichungen und Statements gab es in dieser Zeit gar nicht. Im Facebook gab es ein paar mehr (oft geteilte) Beiträge, aber auch war der soziale Markenkern des Bundeswahlprogramms nicht vorherrschend. Das war 2017 noch gänzlich anders: Damals veröffentlichte der Direktkandidat alle (auch persönlichen) Beiträge immer auf der Webseite des Kreisverbands und mit Schwerpunkt auf sozialen Kernthemen.
Von den zahlenmäßig recht vielen Aktivitäten der Kandidatin Katrine Hoop erfuhren eventuell Interessierte aus den Medien des Flensburger Kreisverbands diesmal nur bruchstückhaft. Einige Parteiaktivitäten wurden zwar angekündigt, was dann aber bei den Online-Gesprächen (die Zahl der Zuschauenden lag des öfteren nur im einstelligen Bereich!) herauskam und für einen Wahlkampf hätte nützlich sein können, teilte der Kreisverband in seinen Medien hinterher nie mit.
So drängt sich im WK1 der Versuch eines personalisierten Einzel-Wahlkampfs auf, der bei der Abbildung in den Parteimedien durch die Verantwortlichen im Kreisverband nur unzureichend mitgestaltet und mitgetragen wurde. So konnten weder der Bundes-Absturz noch die Verluste im eigenen Wahlkreis aufgefangen werden. Außerdem wurde in Flensburg und Umgebung auf unterstützende Bundesprominenz vor Ort gänzlich verzichtet. Warum, ist nur schwer nachvollziehbar.
Wo war eigentlich der Landesvorstand…?
Ähnlich sieht es medial auf der Ebene des schleswig-holsteinischen Landesverbandes der Linken aus. Dort brachte man es auf der Webseite drei Monate vor der Wahl auf gerade mal drei (!) Posts. Über den Verlauf des Wahlkampfs oder Aktivitäten – egal wo im Land – wurde so gut wie nichts veröffentlicht. Schon vorher waren dort soziale Themen monatelang echte Mangelware… Stattdessen fand man dort die Illusion von zukünftig drei (!) schleswig-holsteinischen Bundestagsabgeordneten, die allerdings schon vor der Wahl keinerlei reelle Grundlage hatte.
Der Landesvorstand selbst trat während des Wahlkampfs nicht in Erscheinung. Keine öffentliche Motivation (weder für Wahlkämpfende noch für eventuelle Wähler*innen), keine Pressemitteilung, kein Wahlaufruf zum Abschluss, kein sicht- oder hörbares Engagement. Nichts! – Ergebnis: Der bundesweite Absturz fiel auf der Landesebene noch deutlicher aus und erreichte glatte 50 Prozent! Ein Rekord-Minus, das den allermeisten Flächen-Wahlkreisen ein klägliches Zweitstimmenergebnis von nur noch knapp über 3 Prozent bescherte. Für das Wahldesaster im ganzen Land mit nur noch 3,6 Prozent und dem Verlust von 60.000 Wahlstimmen trägt der Landesvorstand also eine hohe Verantwortung – und damit stellt sich die Frage nach personellen Konsequenzen nun noch deutlicher.
„Bewegungslinks“ und „Anti-Sahra-Kurs“ brachte keinerlei Wahlstimmen!
Viele Funktionär*innen in Schleswig-Holstein waren seit 2017 ziemlich unkritisch dem Vorkämpfer für die Strömung der „Bewegungslinken“, dem nun abgewählten Bundestagskandidaten (und früheren Landesvorsitzenden) Lorenz Gösta Beutin, gefolgt – inklusive teils unqualifizierter Angriffe auf Sahra Wagenknecht und dem Ausbooten derjenigen, die ihr eine wichtige Rolle in der Linken zuschrieben. Noch nervöser wurde damals die Bewegung (!) „Aufstehen“ 2018 von ihnen bekämpft, da sie weniger Bewegungssinn als Furcht vor dem Verlust ihrer Parteirolle hatten.
Der Bekenntnisse zu allen möglichen anderen Bewegungen gab es viele, aber das aktuelle Wahlergebnis zeigt, dass es dort weder im Bund noch im Land etwas für neue Wahlstimmen zu holen gab. Zum einen sind die Bewegungen oft großstädtisch verankert und im Flächenland Schleswig-Holstein weitaus weniger stark. Zum anderen wollte es den Aktiven und den Sympathisierenden dieser Bewegungen gar nicht in den Sinn kommen, Hoffnungen auf die Linkspartei zu setzen oder sie gar zu wählen… Und so ist die „bewegungslinke“ Idee eine eher parteiinterne Sammlungskampagne, die teils nach innen, aber vor allem nach außen eher verschreckte – und somit bis heute wirkungslos bleibt.
Wie im Bund machten Mitglieder von Gewerkschaften, Bewegte bei „Fridays for Future“ sowie Jüngere und Erstwähler*innen einen großen Bogen um die Linkspartei, obwohl gerade in dieser Zeit soziale und klimapolitische Themen ganz oben auf der Agenda stehen. Landesverband und Kreisverbände spiegeln hier – zum Teil sogar noch krasser! – vor Ort die Fehleinschätzungen der Bundespartei erschreckend deutlich wieder.
Noch erschreckender ist die Tatsache, dass in Schleswig-Holstein die materiell am stärksten durch zu niedrige Löhne, Sozialleistungen und Renten belasteten Menschen, an die die Linkspartei sich mit ihrem Programm wenden wollte, zu mindestens 80 Prozent nicht mehr Die Linke wählen. Von einem neuen, nur sehr kleinen jung-urbanen und studentischen Milieu kann dieser Verlust weder inhaltlich noch politisch ausgeglichen werden.
Eine Aufarbeitung von Fehleinschätzungen, Fehlern und falscher Ausrichtung ist deshalb nun noch dringlicher und dürfte nur gelingen, wenn Vergangenes weder ignoriert noch verklärt wird und wenn dabei eine Neuausrichtung herauskommt, die weder floskelhaft noch nur an eigenen Befindlichkeiten orientiert sein darf.
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