Der 13. August: Falsche Ursachen und ideologische Sturheit

Die Schließung der DDR-Grenze zu Westberlin vor 60 Jahren wird heute immer noch ohne ausreichende Sicht auf die Vorgeschichte beklagt

Es könnte so einfach sein: Eine Mauer an der Staatsgrenze zu bauen, damit so gut wie niemand mehr rein oder raus kommt, das ist verabscheuungswürdig und unmenschlich. Und wer das alte Deutschland geteilt hat, wird damit auch gleich sonnenklar… Doch halt: So einfach war und ist Geschichte nicht, denn in einem Konflikt erzählt jede Seite nur das, was ihr in den Kram passt. Und es gibt Ursachen für die Konfliktspirale, die (bis heute) entweder ignoriert oder geleugnet werden…

Die Teilung Deutschlands begann schon 1945/46 – und sie ging zu erheblichen Teilen von den westlichen Besatzungsmächten, besonders den USA, aus. „Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb“, hieß es damals aus dem Munde Washingtons und der neuen Nachplapperer in Westdeutschland. So verabschiedete sich der Westen schnell von der „gemeinsamen Verwaltung Deutschlands als Ganzes“, wie es noch im Potsdamer Ankommen von 1945 angestrebt wurde. Die offizielle Linie der kriegsgeschwächten Sowjetunion – die (nicht nur) politische Neutralität Nachkriegsdeutschlands – wurde vom Westen aus machtstrategischen Gründen schon sehr schnell beiseite gewischt.

Ab 1948 wurde auf Geheiß der Westalliierten eine Verfassung für die westlichen Besatzungszonen erarbeitet, die Basis für den westdeutschen Separatstaat BRD, der mit der Inkraftsetzung des Grundgesetzes im Mai 1949 Realität wurde und mit Hilfe von Hitlers Generälen 1955 Nato-Mitglied wurde. Ebenfalls 1948 wurde die deutsche Wirtschaft mit der westlichen Währungsreform endgültig zweigeteilt.

Delikat und konfliktverschärfend war 1948 die Ausweitung der Währungsreform auf die Westsektoren Berlins, die die sowjetische Besatzungsmacht zu einer eigenen Währungsreform zwang – und die den Status Groß-Berlins zerstörte. Ganz Berlin lag nämlich in der sowjetischen Besatzungszone. Lediglich für die Verwaltung ganz Deutschlands im Berliner Alliierten Kontrollrat hatte die Sowjetunion den Westalliierten drei Sektoren im Westen der Stadt zur Verfügung gestellt. Die Westsektoren (später: Westberlin) waren daher bis 1990 nie Teil Westdeutschlands bzw. der BRD.

Doch darum scherte sich der Westen nur wenig. Mit solch freigiebiger westlicher „Aufbauhilfe“ für die junge BRD und auch für Westberlin wurde die Teilung Deutschlands zementiert – nach außen jedoch stets geleugnet und „dem Osten“ in die Schuhe geschoben… Im Oktober 1949 zog dann die Sowjetunion mit der Gründung der DDR nach. Der neue Staat trug nahezu allein die verbleibenden Reparationsleistungen gegenüber der Sowjetunion, und seine Wirtschaft blieb (auch aufgrund von eigenen Planungs- und Systemfehlern) im Vergleich zur gepäppelten BRD rückständig und krisenbehaftet.

Westberlin wurde in den 1950er Jahren zum „Schaufenster“ des ach so freien Westens und weckte breite Begehrlichkeiten in der DDR, wo die Regierung die Wirtschaftskrise noch mit politischen Repressionen begleitete. Es kam zu Abwanderungen über die bis 1952 offene Grenzen in die BRD und danach besonders über die offene Grenze zu Westberlin.

Doch Westberlin protzte nicht nur mit Leuchtreklamen, oberflächlicher Westkultur made in USA und vollen Warenregalen, sondern wurde auch zum politischen „Pfahl im Fleische“ der DDR, wie es der damalige Westberliner Bürgermeister Willy Brandt (SPD) im Überschwang der Kalten-Kriegs-Rhetorik einmal ausdrückte. Die westliche „Frontstadt“ mitten in der DDR wurde alsbald zum Abwerbezentrum für Fachkräfte aus „dem Osten“, zur Spionagezentrale diverser, teils zwielichtiger Geheimdienste und zum Ausgangspunkt für Sabotageaktionen und Währungsspekulation gegen die ohnehin schwächelnde Wirtschaft der DDR.

Insgesamt verlor die DDR nach eigenen Angaben bis 1961 durch die offene Grenze rund 100 Milliarden Mark durch Sabotage, Arbeitskräfte-Abwanderung und Währungsspekulation – und über eine Million Menschen. Der Ost-Wirtschaft drohte der Kollaps – und damit auch dem Staat DDR, der als Teil der Nachkriegsordnung besonders für die Sowjetunion unentbehrlich und nach 1955 in das Militärbündnis des Warschauer Vertrages sowie in das Wirtschaftsbündnis des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) eingebunden war. BRD, DDR und Westberlin hatten also strategische Rollen zu spielen und standen – je nach Standpunkt – de facto nicht zur Disposition.

Die DDR-Regierung schätzte darüber hinaus das propagandistische Trommelfeuer des Westens gegen ihren Staat, dessen Existenz vom Westen frech geleugnet wurde, durch großdeutsche Bekenntnisse der Bonner Regierung und deren Duldung aggressiver Vertriebenenverbände, die die Rückgabe von Territorien in der VR Polen und der CSSR forderten, aber auch durch militärische Drohgebärden von Nato und Bundeswehr an der DDR-Westgrenze als Gefahr für den Bestand der DDR und für den Bestand der Nachkriegsordnung ein. So lagen in der DDR-Hauptstadt nicht nur wegen der wirtschaftlichen Dauerkrise und ihrer Folgen die Nerven blank.

Erst im August 1961 suchte die Regierung der DDR bei den Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrages endgültig um Beistand für eine Schließung der offenen Grenze zu Westberlin nach – und erhielt ihn in einem gemeinsamen Beschluss. Nur dadurch konnte die DDR ihre Pläne zur Grenzschließung am 12./13. August umsetzen.

Was dann geschah, wird auch in diesen Tagen wieder bildhaft dargestellt. Die DDR schuf Tatsachen und traf außer bei revanchistischen Schreihälsen Westdeutschlands und Westberlins auf keinerlei nennenswerten Widerstand für den Grenzschluss rund um die „Frontstadt“ – auch nicht bei den Westalliierten, die damit (ohne es direkt auszusprechen) den Status der DDR akzeptierten. Sogar in Washington soll es erleichterte Stimmen gegeben haben, dass nun eine hohe Kriegsgefahr abgewendet worden war… Der damalige USA-Präsident John F. Kennedy soll gesagt haben: „Eine Mauer ist verdammt viel besser als ein Krieg.“

In der DDR gab es frustrierte Ablehnung der Grenzmaßnahmen, die Familienkontakte, aber auch die Arbeit Zehntausender in Westberlin, die mit zum Schwindelkurs umgetauschte Löhne angeben konnten, auf einen Schlag unmöglich machten. Es gab aber auch teils offene, teils verhaltene Zustimmung, in der Hoffnung auf wirtschaftliche Beruhigung der vorher angespannten Situation, die sich dann auch zögerlich einstellte. – Der Westen allerdings konnte angesichts der auch für ihn völlig überraschenden Abriegelung Westberlins neue propagandistische Geschütze auffahren und sich trotz der eigentlichen Niederlage bei der Destabilisierung der DDR als moralischer Sieger zu fühlen…

Kanonenfutter lieferte dafür ausgerechnet das neue Grenzregime der DDR, das die Grenze so hermetisch abriegelte, dass jede „Grenzverletzung“ ein tödliches Risiko wurde. Besonders galt dies für die eigenen Bürger*innen, von denen 140 beim Versuch, die stark munitionierte Grenze zu Westberlin zu überwinden, von Grenzsoldaten erschossen wurden. Einigen tausend gelang es dennoch, nach Westberlin oder in die BRD zu gelangen.

Die DDR hat sich mit diesem Vorgehen an ihrer Westgrenze selbst der eigenen Glaubwürdigkeit beraubt. Denn auch wenn an anderen Grenzen bei unerlaubtem Grenzübertritt bisweilen geschossen wurde, rechtfertigte das perfektionierte Grenzregime die Tötung eigener Bürger*innen oder die starke Kriminalisierung gesetzeswidriger „Republikflucht“ keinesfalls. Auch der Verweis auf die politische Stabilisierung in Europa und die Abwehr westlicher („imperialistischer“) Aggression, die die Grenzschließung zweifelsohne mit sich gebracht hatte, verliert im Lichte diese unmenschlichen Vorgehens an Überzeugungskraft.

Wenn die DDR-Führung es nur gewollt oder erwogen hätte, wäre ein anderer, völkerrechtlich sogar eher akzeptabler Umgang mit der weitgehend geschlossenen Grenze und Reiseregelungen möglich gewesen, doch die ideologische Sturheit und die fehlende Empathie für kritische Teile der Bevölkerung, hat dies verhindert – mit der Folge einer ständigen politischen Distanz zum Staat DDR, der damit nie „der bessere deutsche Staat“ werden konnte.

Und so bleibt auch am 60. Jahrestag der Schließung der Grenze zu Westberlin festzuhalten: Für die Spaltung Deutschlands oder Berlins trägt die DDR nur geringe Verantwortung. Die treibenden Keile kamen vorwiegend aus Washington sowie (später) aus Bonn und Westberlin. Auch die Abwehr der fortgesetzten Destabilisierungsaktion der DDR durch den Westen ist nachvollziehbar, denn nach den vom Westen geschaffenen Tatsachen war die DDR nicht mehr zu „beseitigen“ – und westlichen Versuchen sollte ein Riegel vorgeschoben werden.

So ist dann die Grenzschließung durch eine Mauer (oder andere Grenzanlagen) auch nicht der eigentliche Kern des Problems – sondern der nach dem 13. August 1961 einsetzende, eigene und unverzeihliche Umgang des DDR-Systems mit dieser Grenze, die die Tötung von Menschen ohne Pardon und Schuldbewusstsein mit einschloss, viele Reisewünsche unmöglich machte und damit dieses System nach innen wie nach außen der selbst beschworenen Legitimität beraubte – und dauerhaft selbst destabilisierte.

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