
Die Lebensleistung von Menschen, die in der DDR gelebt haben, lässt sich vom Gesellschaftssystem Sozialismus nicht trennen, heißt es in diesem Essay:
Neues Deutschland / ND (Berlin, 03.07.2021): Sozialistisch arbeiten, lernen und leben
„Die Anerkennung von Lebensleistungen in der DDR ist ohne Anerkennung der sozialistischen Ausgestaltung der Gesellschaft undenkbar, allerdings müssen sie aus Westsicht notwendigerweise abgewertet werden, weil ansonsten das eigene System in definitive Legitimationsprobleme gerät“, ist einer der zentralen Sätze dieses Essays, der zum Nachdenken anregt. Zum Nachdenken über die westliche (und vorherrschende!) Sichtweise auf die DDR. – Bis hinein ins linke Lager hat sich die Erzählung von „zwei deutschen Diktaturen“ durchgesetzt.
Sie ist eine bewusst flüchtige Gleichsetzung des deutschen Faschismus, dessen menschenfeindliches Terror-Regime nun wahrhaftig keinerlei vertretbare Identität hervorgerufen hat, mit dem DDR-Sozialismus, der sich in der damaligen Zeit seiner Überzeugungskraft nicht sicher sein konnte, in dem die Angst von Staat und Partei vor dem (wahrhaft!) drohenden Imperialismus größer war als das Vertrauen in eine echte sozialistische Demokratie, die ihren Namen verdient (anstatt zu völlig unakzeptablen Repressionen zu greifen). Werden beide auf eine (unterste) Stufe gesetzt, scheint sich die Diskussion über die DDR von selbst zu erledigen…
Dennoch hat der DDR-Sozialismus, teils von seinen Bürger*innen „unbemerkt“, Werte und Standards sowie Grundlagen einer Identität gesetzt, die vielen erst nach deren Verschwinden bewusst wurden und vorher als alltägliche Selbstverständlichkeit hingenommen wurden. Die DDR war im Systemvergleich der Rekorde mit dem Westen immer „weniger“ – Anlass für unerfüllbar scheinende Sehnsüchte in der Republik selbst oder für Häme und (bis heute andauerndes) Überlegenheitsgehabe von der anderen Seite der System- und Staatsgrenze.
Es brauchte wohl erst die Abwicklung der DDR um einigen Menschen deutlich zu machen, dass sie 1. wirklich etwas verloren hatten – und 2. dass sie sich trotz aller verbalen Weigerungen mit den nun fehlenden gesellschaftlichen und sozialen Realitäten (gerade auch den positiven!) arrangiert hatten. Für viele Ursachen zur Abwicklung der DDR trägt die damalige Partei- und Staatselite selbst die größte Verantwortung. Für die eigentliche Abwicklung ab Herbst 1989 liegt die politische Verantwortung im Westen.
Die alte wie auch die neue BRD hat fast immer das gleiche Reaktionsmuster auf die DDR gehabt, das allerdings heute viel von seiner Strahl- und Überzeugungskraft eingebüßt hat. Das Narrativ „zweier deutscher Diktaturen“ hat dazu beigetragen, denn es wurde weder der Realität noch der Identität vieler Menschen in der DDR gerecht. Der in diesem Artikel geforderte Umgang mit dem Sozialismus ist daher nicht einfach vom Tisch zu wischen. – (HUS)