2018/19 haben Teile der Linkspartei und der SPD die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ aggressiv bekämpft. Auch deshalb flaute diese Bewegung ab – und die Parteien verloren noch mehr Zustimmung…

Bei einigen Partei-Linken ist es der (nicht mehr ganz) neue Hype: „Bewegungslinks“ zu sein, erscheint als etwas besonders Erstrebenswertes und soll der Partei angeblich neuen Schwung verleihen… Und so hat sich schon 2019 eine von mehreren Parteiströmungen den Namen „Bewegungslinke“ verpasst.
Der Zeitpunkt der Gründung war nicht zufällig, denn er darf als harsche Reaktion auf die „Aufstehen“-Bewegung gesehen werden. Diese hatte sich als „linke Sammlungsbewegung“ gegründet, um „von unten“ Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit, Abrüstung und klimagerechter Nachhaltigkeit in die Politik zu tragen. Sie umfasst bis heute ein weites Spektrum von links, grün, ur-sozialdemokratisch bis hin zu Enttäuschten von etablierten Politikstrukturen. Die in der Anfangszeit formulierten Grundlagen und Ziele können (bis heute) als weitestgehend „links“ eingestuft werden.
Als damaliger Kreisvorsitzender der Flensburger Linken fand ich 2018 diese außer- und überparteiliche Ausrichtung von „Aufstehen“ zunächst interessant und dann auch bald sinnvoll, denn das linke Parteienspektrum war von einer parlamentarischen Mehrheit (nicht nur zahlenmäßig) weit entfernt – und ich engagierte mich über mehrere Monate als Mitorganisator von Treffen und mehreren Aktionen für das nördliche Schleswig-Holstein. Zu den ersten Treffen kamen über 50 Interessierte aus dem oben genannten Spektrum – und es gab viele fruchtbare, aber teils auch langwierige Diskussionen um die Vorrangigkeit von Themen.
„Aufstehen“ machte wohl nahezu überall die Wehen einer sich sammelnden Bewegung durch und war in ihren regionalen Organisationen vor dem Sich-im-Kreis-Drehen nicht gefeit. Aber auch das war für mich eine wichtige Erfahrung, denn so läuft es eben in einer Bewegung mit den verschiedensten Befindlichkeiten und Interessen von „ganz normalen“ Leuten, von denen nur wenige Mitglied einer Partei waren oder mit dem gängigen Politikbetrieb, von dem sich die „Aufgestandenen“ ja gerade auch emanzipieren wollten, nicht vertraut oder „grün“ waren.
Wegen der Breite der Ideen und Haltungen und auch wegen eigener Befindlichkeiten, die nicht immer so einfach mit den formulierten Eckpunkten der „Aufstehen“-Bewegung in Übereinstimmung zu bringen waren, trat nach einigen Monaten in vielen Regionalgruppen eine personelle „Gletscherschmelze“ ein. Übrig blieben dann oft zwei Handvoll Personen, die noch eine Weile die begonnenen Strukturen festigen und ausbauen wollten, bevor nach knapp einem Jahr vor Ort „die Luft raus war“.
Es gab aber nicht nur die inneren Schwierigkeiten, die das Projekt ausbremsten. Insbesondere in der Linkspartei und in der SPD war schon bei Gründung von „Aufstehen“ aggressive Panik aufgekommen. In der Linkspartei waren es dieselben, die wenig später den Slogan der „Bewegungslinken“ herausposaunten, die nun schwere Geschütze gegen die „Aufstehen“-Bewegung hervorholten – gegen die Bewegung als solche und ihre Mitgründer*innen aus der Linkspartei (unter ihnen z.B. Sahra Wagenknecht und Fabio de Masi).
In Schleswig-Holstein gab es in den Linkspartei-Gremien auf Landesebene (ich war bei einigen selbst anwesend) schrille Töne gegen „Aufstehen“, wie z.B. „am rechten Rand offen“, „ohne linkes Bewusstsein“, „rassistisch“. – Besonders wütend gingen einige Parteimitglieder gegen Sahra Wagenknecht vor: „Spalterin“, „Egoistin“, „Begründerin von Parallelstrukturen“ waren nur einige der Attribute, die dort ausgestoßen wurden – während auf Bundesebene das schon Mitte 2017 begonnene Mobbing gegen sie munter weiterlief, teils mitinszeniert, teils verbal unterstützt auch von schleswig-holsteinischen Landes- und Bundespolitiker*innen…
Die Wut lässt sich erklären: Sie hatten schlicht schreckliche Angst vor außerparlamentarischer „Konkurrenz“, geprägt von tiefem Misstrauen, dass bei „Aufstehen“ Ziele formuliert werden, die nicht dem Stil parteipolitischer Aussagen entsprachen oder mit ihren Zielen deckungsgleich waren. – Kurz: Sie hatten Angst vor dem Verlust ihres (ohnehin zumeist geringen) Einflusses auf die öffentliche Diskussion. Ihre daraus erwachsenen, teils unterirdischen Feindseligkeiten sind dennoch nicht zu rechtfertigen.
Als dann – schon kurz nach der „Aufstehen“-Gründung (überwiegend von außen) erste Gerüchte über eine Parteigründung gestreut wurden, die auch in der Bewegung selbst diskutiert, aber niemals mehrheitsfähig wurden, brannte bei einigen Partei-Linken wohl endgültig die Sicherung durch. Die Idee, dass es wirklich Versäumnisse in der Linkspartei geben könnte, kam ihnen vor lauter Aufregung nicht in den Sinn. Sie suchten geradezu nach Gründen, um „Aufstehen“ und seine Mitglieder als reaktionär und unlinks zu brandmarken. – Auch in der SPD gab es in einigen Kreisen heftigen Widerstand gegen „Aufstehen“, aus sehr ähnlichen Gründen wie in der Linkspartei.
All dies wurde selbstverständlich auch über die Medien transportiert. Und so „gelang“ es den Anti-“Aufstehen“-Wortführern, bei einigen politischen Neulingen der Sammlungsbewegung Misstrauen zu säen – oder zumindest die Erkenntnis, dass eine neue Bewegung, die eigentlich an der Seite der „linken“ Parteien stehen wollte, dort gar nicht gewollt ist und somit einen Teil ihres Sinns verliert. Neben den eigenen Schwierigkeiten bei der Findung der Bewegung, ist das parteipolitische Trommelfeuer eine nicht zu unterschätzende Ursache für den derzeitigen, nun schon zweijährigen „Fast-Dornröschenschlaf“ der Sammlungsbewegung.
Mit der Gründung der „Bewegungslinken“ wurde deutlich, welche Art von Bewegungen dieser Strömung den Anhänger*innen dieser Strömung genehm waren – und es wird bis heute versucht, dies in der gesamten Linkspartei zu verankern. Die teils symbiotisch dargestellte Nähe zu Bewegungen wie „Unteilbar“, „Seebrücke“ oder „Fridays for Future“ liefert ihnen ein neues Parteigefühl, nebst neu festgeschriebenen Positionen.
Viele dieser Bewegungen sind zweifelsohne berechtigt, notwendig und unterstützenswert, denn sie positionieren sich für humanistische Grundhaltungen oder drängende gesellschaftliche Veränderungen. In manchen Fällen gründen sie sich auf ein, zwei thematischen Grundpositionen und werden in der Öffentlichkeit durch wenige Großveranstaltungen oder lokal und regional verankerte Aktionen sichtbar. Im progressiven, linksliberalen Teil der Bevölkerung finden sie – je nach Situation – größere Teile der Sympathisant*innen. Weite Teile der großen Bevölkerungsgruppe von materiell und finanziell Benachteiligten geben dort hingegen weniger den Ton an. Soziale Themen der markanten Ungleichheit werden dort auch nicht als Hauptthese formuliert.
Für eine Partei, die insbesondere über ihren „sozialen Kern“ definiert wird, ist die selbsterklärte Nähe zu diesen Bewegungen also – neutral ausgedrückt – bestenfalls eine Ergänzung oder eine Perspektiverweiterung, eine subjektiv empfundene Konkurrenz zum gängigen Partei- und Politikbetrieb erwächst den „Bewegungslinken“ daraus nicht. So fällt es leicht, sich „Bewegungslinke“ zu nennen, wenn sie nicht in einen Dialog mit einer sozial ausgerichteten Bewegung wie „Aufstehen“ treten müssen…
Interessant ist übrigens, dass die „Bewegungslinke“ in der Linkspartei fröhliche Urständ‘ feiert und immer mehr zum Common Sense erhoben wird, dass dies aber der öffentlichen Sympathie der Partei keinerlei Aufschwung verleiht. – Im Gegenteil: Seit längerem sinken die Umfragewerte und Wahlergebnisse vielfach unter das Niveau vergangener Wahlen. Nach 9,2 Prozent bei der Bundestagswahl von 2017 ist derzeit nur ein Umfragewert von 7 Prozent zu verbuchen (einige Landtagswahlen und die EU-Wahl haben diesen Trend bestätigt).
Wie kommt das…? – Nun, teils einflussreiche Teile der Linkspartei fühlen sich mit ihren „bewegungslinken“ Positionen mit sich selbst programmatisch im Reinen. Aus diesem selbst empfundenen Selbstbewusstsein einer gefühlten breiten Verankerung über die Parteigrenzen hinaus scheint ihnen das Stadium einer „Partei neuen Typs“ erreicht – und damit nahezu alternativlos. Doch in den Strukturen der Bewegungen oder bei deren Aktionen ist DIE LINKE dort immer nur eine von vielen anderen… Markante Aufmerksamkeit oder gar Sympathien bzw. Wahlbereitschaft erwachsen der Partei daraus nicht.
Ein bisschen Zulauf in der Mitgliedschaft mag es geben, aber auch damit gelingt der Partei derzeit noch nicht einmal, die frühere Anerkennung in der Bevölkerung zumindest zu bewahren. Denn: Die Abkehr von Mitgliedern und vor allem Wähler*innen, die sich von dieser diffuser gewordenen, teils auch selbstgerechter präsentierten Selbstdarstellung der Linken nicht (mehr) angesprochen fühlen, ist oft größer! Für eine auf allen staatlichen Ebenen aktive parlamentarische Partei ist die „bewegungslinke“ Ausrichtung also ein wachsendes, sattes Problem. Sie wirkt vermehrt nach innen und nicht mehr ausreichend nach außen und verliert genau dort an Unterstützung.
Wird diese „Krux“ bzw. dieses handfeste Dilemma innerhalb der Partei kritisiert, führt dies bei vielen „Bewegungslinken“ übrigens nicht etwa zu einer Besinnung oder einem deutlichen Umsteuern. Vielmehr gibt es darauf bisweilen rüde vorgetragene Selbstverteidungsreflexe, die den Attacken auf „Aufstehen“, Sahra Wagenkencht und anderen Parteimitgliedern nicht unähnlich sind… Die „Dilemma-Schraube“ dreht sich dabei jedesmal ein Stück weiter.
Wer sich so jedoch in der eigenen Partei sowie einer selbst definierten Szene selbst genug ist, verstärkt lediglich das außerparlamentarische Bewusstsein, gefährdet aber gleichzeitig massiv die parlamentarische Substanz der Linkspartei – nicht nur im Bund, sondern bis in die Kommunen hinein, wo die Linken ohnehin oft die sehr kleinen Fraktionen bilden.
Hochproblematisch ist dabei auch, dass die „Bewegungslinken“ den Diskurs darüber, welche Bewegungen unterstützenswert sind und welche der totalen Ablehnung unterliegen, entschieden zu haben scheinen. Wer sich vor zwei-drei Jahren bei „Aufstehen“ politisch engagieren wollte und sogar gewisse Sympathien für die Linkspartei (von der ja einige Mitglieder bei den Treffen dabei waren) hegte, lief nach den Anfeindungen mit Grausen vor der Partei davon – und zog, zusätzlich zu den Hunderttausenden, die sich schon vorher abgewandt hatten, noch einmal einige Leute mit…
Übrigens: „Aufstehen“ (www.aufstehen.de) gibt es immer noch – und setzt derzeit auf einen neuen Startversuch. Als außerparlamentarische Bewegung, die sie immer war, startet im Juni 2021 die Aktion „Bürgertagswahl“, in der sich die überwiegend in Online-Arbeitsgruppen vertretenen Engagierten auf 21 Forderungen an die politischen Parteien einigen wollen. Diesem Engagement gilt es Unterstützung und Erfolg zu wünschen, denn die Ursachen für die Gründung der Sammlungsbewegung sind immer noch (fast) die gleichen. Nur die 2018 angesprochenen Parteien haben sich aus dem Staube gemacht und seitdem viel Selbstbeschäftigung betrieben…
4 Kommentare zu „Die „Bewegungs-Krux“ einiger Linker“