…und es dabei mehr um (auch eigene) Personen geht als um die Sache

Dass Journalismus im Kapitalismus nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig ist, stellt keine neue Erkenntnis dar – und dass die Hoffnung auf wirkliche Qualität in einer garantierten Pressefreiheit immer wieder enttäuscht wird, auch. Und weil es Quoten und Selbstprofilierung verspricht, beißen sich bekannte Namen der Pressearbeit immer wieder an Personen fest anstatt an der (gerade in Pandemiezeiten) so wichtigen Sacharbeit. Allzu wenige Protagonisten entgehen dieser Versuchung – und schaffen es deshalb nicht „ganz nach vorne“…
„Impfchaos“ ist derzeit eines der Schlagwörter, denn gut drei Monate nach Beginn des Impfstoffeinsatzes geht es scheinbar nur langsam voran – übrigens nicht nur in der BRD, sondern auch in den meisten EU-Ländern. CDU-Gesundheitsminister Spahn, der hier und da gerne etwas hemdsärmelig auftritt (weil das wohl heutzutage bei der Presse mehr Aufmerksamkeit bringt und womöglich so auch die eigene Karriere befördern könnte), hatte zu Beginn der Impfaktionen bereits dargelegt, dass es anfangs „etwas ruckeln“ könnte.
So kam es auch. Aber die Damen und Herren von der Presse – in Morgenmagazinen, Brennpunkten, Abendjournalen, Talk-Shows, Kommentarspalten etc. – sind auf investigativ gebürstet und auf ihr Selbstverständnis von „kritischem Journalismus“ und nehmen den Gesundheitsminister und andere Verantwortliche immer wieder nur zu gern mit den gleichen Fragen in die „heiße Zange“, obwohl erwartbar nichts Neues dabei herauskommt.
Jemand wie Dunja Hayali hat schon frühmorgens den spöttischen Blick und die Lust auf (zumeist erfolglose) Enthüllungen besonders perfektioniert. Hier nörgelt sie am Begriff „Osterruhe“ herum, noch bevor dieser überhaupt erklärt werden konnte, da versucht sie, einen „Brückenlockdown“ zu diskreditieren. Im Fortgang des Tages bleibt sie damit wahrlich nicht allein, denn viele der medialen Speerspitzen scheinen darauf fixiert zu sein, immer irgendjemandem Feuer unterm Hintern machen zu wollen. Das Ergebnis bleibt zumeist kläglich. Außer einem verbalen Trommelwirbel kommt dabei nicht viel raus.
Und viel Sachverstand kommt auch nicht rüber: Mal quengeln sie über zu wenig Lockerungen, mal fordern sie härteres Durchgreifen – immer so, wie es im Moment gerade nicht ist. Und ach ja: „Bundesweit einheitliche Regeln“ sind der Renner! Als ob die Situation einer Flensburgerin mit der in Oberursel oder Riesa wirklich etwas zu tun hätte… Aber es lohnt sich offenbar seit Monaten, sich künstlich darüber aufzuregen und dem Publikum eine Laus für mehr Zentralismus in den Pelz zu setzen. Zu dumm aber auch, dass es Kompetenzen der Bundesländer gibt…
Und all das bleibt bei denen, die sich noch öffentlich-rechtliches Fernsehen oder Radio oder die gelegentliche Lektüre überregionaler Tageszeitungen über Bild-Niveau zu Gemüte führen, hängen. Die trommelnden Fragen, die nicht die gewünschte Entblößung der Interviewten mit sich führen, hinterlassen bisweilen viel Lärm um verdammt wenig und eine hilflose Verdatterung – vielleicht sogar Frust, der ohnehin schon reichlich durch die Gesellschaft wabert. Leisere, seriös argumentierende Töne dringen da fast nicht mehr durch.
Und wenn die journalistischen Daumenschrauben nichts nutzen, kommen die Personalien aus dem Sack: Die mehrtägige Zeit des neuen CDU-Chefs Laschet zum „Überlegen“ über die Osterfeiertage wird mit spöttischem Unterton als Schwäche ausgelegt. Wieso denkt der überhaupt „ohne uns“? Kann so einer überhaupt Kanzler? Ist Dampfplauderer Söder da nicht viel forscher und (scheinbar!) entschlossener, so wie es das Volk vermeintlich „braucht“?
Und überhaupt: Wann entscheiden die denn nun endlich? Das Volk will Söder, so suggerieren es nahezu stündlich neue Umfragen… Und der Scholz kann‘s gar nicht, da sind „wir“ uns schon mal ganz sicher! Und: Ist Baerbock besser (weil sie auch Mutter ist) oder doch lieber Habeck, der andere Dampfplauderer mit philosophischer Charming-Note? „Regierungsfähigkeit“ wird den Grünen jedenfalls nicht mehr abgesprochen, seit sie schon vor zwei Jahrzehnten für Kriegseinsätze und Sozialabbau waren…
Und so dreht sich das Karussell in den Redaktionsstuben (im Homeoffice!) immer schneller. Ruhe und Abwarten sind dabei weder quotentauglich noch im Geiste der nervösen Presse… Und weil das alles so toll-investigativ (aber leider ergebnislos!) ist, kommen ihnen dort überhaupt nicht ansatzweise die eigentlichen Fragen in den Sinn…
Zum Beispiel: „Warum entprivatisieren Sie nicht das Gesundheitswesen, Herr Minister? Das jahrelange Kaputtsparen und Profitstreben rächt sich doch jetzt, oder etwa nicht, Herr Minister?“ – Oder: „Wann werden Sie der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung gerecht und treten dem Atomwaffenverbotsvertrag bei, Frau Ministerin?“ – Die Liste notwendiger Fragen ließe sich problemlos stark erweitern…
Doch das alles fällt den Hayalis, Klebers, Wills, Plaßbergs, Illners, Miosgas und vielen anderen, oft unbekannteren Pressevertreter*innen nicht ein. – Lärm machen und das eigene journalistische Ego pflegen: Ja… Aber die Gesellschaft zum Wohle der Menschen mit zu gestalten und an neoliberalen und nato-treuen Prinzipien zu rütteln: Nein! Bloß keine seriöse Systemkritik!
Genau deswegen bleibt die ach so „freie Presse“ (von einigen Nischen in Polit-Magazinen oder Hörfunk-Features, die nur wenige einschalten und die auch nicht so oft wiederholt werden wie „Rote Rosen“ oder „Puma, Seelöwe & Stubenfliege“) im Kampf gegen Desinformation, Fake-News und Frust-Populismus trotz aller rhetorischen Drohgebärden allzu oft zahn- und wirkungslos. – Ja, sie bleibt bisweilen irritierend uninteressant, weil die verwendeten Mittel immer dieselben sind und nie um den wirklichen Kern von Skandalen, Fehlern und Versäumnissen kreisen…