Die beste Politik kommt bei den Leuten nicht an, wenn sie nicht interessant, verständlich und anschaulich dargestellt wird. Sahra Wagenknecht und Fabio De Masi gehören zu den Wenigen, die diese Art der Politikvermittlung verstehen. Hier zwei aktuelle Beispiele dafür:

(1) Bessere Zeiten – Wagenknechts Wochenschau (Youtube-Kanal, 25.02.2021): Einfamilienhäuser verbieten? Die Grünen & eine absurde Debatte
In ihrer aktuellen „Wochenschau“ nimmt SAHRA WAGENKNECHT poinitiert die derzeitige Wohnungspolitik auseinander: Steigende Mieten, millionenfacher Leerstand und noch mehr fehlende bezahlbare Wohnungen sind seit Jahren ein trauriger „Normal“-Zustand. – Auch die jüngst von den Grünen angestoßene (und sogar von einigen namhaften Linken nachgeplapperte) Eigenheim-Debatte nimmt sie auf und kritisiert die fehlende soziale Perspektive in dieser Diskussion. – Eine interessante Viertelstunde!

(2) Jung & Naiv (Youtube-Kanal, 21.02.2021): Fabio de Masi zum Wirecard-Skandal
In diesem langen Interview legt FABIO DE MASI ein weiteres Mal die Karten in Sachen Wirecard-Affäre und Finanzpolitik generell auf den Tisch – sehr gut und verständlich erklärt. Und zum Ende nimmt er auch zur Situation der Linkspartei Stellung. – Anschauen (vielleicht in mehreren „Portionen“) lohnt sich in jedem Fall!
Ich bin nicht unbedingt ein Freund der Grünen, aber hier muss ich den Hofreiter Toni doch mal in Schutz nehmen, wenn schon alles nun auf ihn einprügelt. Im Grunde hat er ja nur klargemacht, was jedem an sich einleuchten müsste: Im verhältnismäßig kleinen, dafür aber eng besiedelten Deutschland wir schlichtweg der Platz knapp. Der Flächenfraß ist enorm. Jeden Tag fallen 60 ha der Versiegelung zum Opfer. Opfer, d.h. in dem Falle Natur, Umwelt und Tiere, deren Lebensräume enger und enger werden. Auch in Flensburg haben wir ja dieses Problem und ich behaupte mal, dass es neue Wohngebiete wie z.B. in Tarup oder auch in der Gartenstadt Weiche in dieser Form nicht mehr geben wird. Vor genau diesem Problem steht der grüne Bezirksbürgermeister in Norden von Hamburg und daher, für mich nachvollziehbar, den Bau von Einfamilienhäusern in seinem Bereich gestoppt. Es geht in der Diskussion, das wird gerne bewusst verallgemeinert um die Frage, wie in den sog. Speckgürteln der Metropolstädte mit dem Problem umgegangen wird. In der Provinz existiert diese Sorge nicht, dort ist genug Wohnraum (auch als Einfamilienhäuser) vorhanden, Nur will da aus vielen nachvollziehbaren Gründen kaum jemand hin.
Mal abgesehen von den umweltlichen Belastungen zählt hier auch ein sozialer Aspekt. In der Regel sind es ja eher gutverdienende Leute, die sich den Traum vom Eigenheim erfüllen wollen. Das kritisiere ich nicht und das ist ja auch völlig legitim. Aber während sich verhältnismäßig gut verdienende Menschen das immer knapper werdende Gut „Boden“ sichern, ändert sich die Situation für nicht ganz so gut gestellte Menschen kaum zum Besseren. Die neuen Bauherren- und frauen ziehen ja eher nicht aus dem sozialen Wohnungsbau an den Stadtrand, sondern vermutlich aus ohnehin schon für viele nicht erschwingliche Wohnungen, die nach einer Sanierung nach Auszug noch teuer wieder angeboten werden. Dem kann man nur abhelfen, wenn auf dem knapper und knapper werdenden Baugründen erschwingliche Wohnungen und Geschossbau erfolgt. Damit möchte ich nicht Fehler der 60er/70er (Engelsby, Mettenhof etc.) wiederholt wissen.
Und wenn wir schon bei dem sozialen Aspekt sind kann man auch gleich in die Zukunft schauen und sich mal klarmachen, wer denn die vielen schicken EFH mal erben wird und dadurch die Ungleichheit manifestiert wird.
Nochmal, ich will niemandem seinen Traum vom eigenen Häuschen vergrätzen. Aber dass nun alle auf den armen Bezirksbürgermeister und den Hofreiter einprügeln halte ich für reichlich verlogen. Die Probleme sind ja reell. Man sollte diese Gedanken stattdessen als Diskussionsgrundlage für die Frage verstehen, wie wir es hinbekommen, das Wohnen in der Provinz (wo das entsprechende Wohnangebot ja da ist) attraktiver zu gestalten.
Häuslebau darf man nicht verbieten, aber es sollte auch klar kein, dass das komfortable Leben im Speckgürtel oder am Stadtrand kein Menschenrecht ist, dass andere Bevölkerungsgruppen benachteiligt und ausschließt.
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Lieber Jochen, natürlich dürfen wir Grüngebiete oder außerörtliche Naturgebiete nicht weiter unkontrolliert zubetonieren. – Was allerdings irritiert, ist, dass eine solche Debatte einen eigenartigen Unterton hat. Wer sich teures Wohnen in den Städten leisten kann, mag solche Grün-Bekenntnisse leicht von sich geben können (und dass „grüne Linke“ dabei in einen Freudentaumel verfallen, ist ebenso verstörend!). Wenn die Boden-, Bau- und Mietpreise weiterhin so teuer sind, werden viele Menschen aus den Städten herauskatapultiert – und manchmal ist sogar das Wohnen im „1. Ring“ um die Stadt herum nicht mehr erschwinglich. – „Wir“ werden also, solange das so bleibt und kein wirksames Regulativ vorgeschoben wird, Wohnraum außerhalb von Stadtgrenzen anbieten müssen. Denn die Menschen, die seit Jahren von den Eliten, Spekulanten und dem höheren „Kultur-Bürgertum“ aus den Städten hinauskomplimentiert (= vertrieben, oder modern: gentrifiziert) werden, sind diejenigen, die in den Städten arbeiten: sie reinigen, Waren verkaufen, Busse und U-Bahnen steuern, Kranke und Alte pflegen usw. usf. – Große Wohnungen für Familien gibt es in den Außenbereichen zu wenig, also wird auf Eigentum (und Verschuldung – ein kleiner Traum, der schnell zum Albtraum werden kann) gesetzt – sei es in Einzel- oder Reihenhäusern… Oder auf Neubauten mit mehrfacher Geschosshöhe (früher nannte man das „Trabantenstädte“). – Und ach ja, größere Distanzen zum innerstädtischen Arbeitsplatz lösen ein höheres Verkehrsaufkommen aus. Wenn die öffentliche Hand nicht für akzeptable Nah-/Regional-Verkehrskonzepte sorgt, wird es mehr Autoverkehr geben – so wie jetzt schon überall sichtbar (in Flensburg pendeln täglich 10.000 Pertsonen mehr in die Stadt als rauspendeln!). – „Sowas kommt von sowas“… – Im „Beitrittsgebiet“ weisen Kommunen übrigens auch deshalb Bauland am Rand von Dörfern und Kleinstädten aus, um die Bevölkerung in der ländlichen Region zu halten. An all das haben die Hofreiters, Riexingers und sonstwer nicht gedacht… Und so wird aus grünen Fantasien schnell eine „grüne/linke Phantom-Debatte“!
Auch hier in Flensburg wird sich das Thema Neubau am Stadtrand immer wieder stellen müssen, solange Wohnungsleerstand bzw. -spekulation besonders in der Innenstadt, der zunehmende Verfall älterer Bestandswohnungen, das Bauen am eigentlichen Bedarf vorbei und ein zu hohes Mietniveau weitergehen. So viel, wie an bezahlbarem Wohnraum nachgefragt wird, kann man in FL schon lange nicht mehr „nachverdichten“ oder auf Dächer setzen. Deshalb: Setzt man bei diesen Zuständen die Situation der „normalen Menschen“ in den Fokus, werden einge Reihenhäuser und noch mehr Mehrgeschossbau unvermeidlich bleiben. Und deshalb kann ich als Linker nicht vom Versiegelungsstopp träumen oder gar von städtischer Renaturierung. – Gewiss, wir dürfen nicht wahllos „zupflastern“ oder notwendige Grünschneisen zubetonieren. Hier gilt es mit Bedacht, aber immer auch mit dem sozialen Aspekt heranzugehen. – Und mal etwas sarkastisch am Rande bemerkt: Sollten sich bei der notwendigen (!) Neuversorgung mit Wohnraum irgendwelche Leute in irgendwelche Bäume setzen, würde ich dafür jegliche (bis jetzt bestandene) Sympathie verlieren…
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Ein sehr komplexes Thema, lieber Herman, welches, das zeigt auch unsere Diskussion, sehr emotional werden kann, weil es ein Grundbedürfnis berührt, nämlich anständig zu wohnen.
Und wie in vielen anderen Bereichen bietet es Konfliktpotential mit dem Umweltschutz. Wer würde schon ernsthaft bestreiten, dass es für immer mehr… immer mehr Wohlstand, immer mehr Wohnraum, immer mehr Fabriken, immer mehr Infrastruktur, immer mehr Tourismus… nicht 1001 gute Gründe geben würde. Gründe, die dafür sorgen, dass es den Menschen besser geht, dass es der Gesellschaft insgesamt besser geht… WENN wir dieses eine große Projekt noch bauen und uns dann aber … ganz bestimmt… um den Umweltschutz kümmern.
Investoren wollen verdienen, Politiker wollen wiedergewählt werden, Menschen wollen schnell zur Arbeit und gut und sicher wohnen. Schlechte Zeiten für Belange von Natur und Nachhaltigkeit. Mittlerweile wird Nachhaltigkeit ja auch in linken Kreisen gerne als „Hipster-Thema“ belächelt und die Kids von Fridays For Future, deren Zukunft wir hier gerade verwürfeln, als verwöhnte Mittelstandsgören verunglimpft (auch wenn in Wahlprogrammen pflichtschuldig auf die Notwendigkeit des Umweltschutzes verwiesen wird).
Doch wenn es zum Schwur kommt, sind zumeist alle anderen Belange (Arbeitsplätze, Wohnraum, Wohlstand) wichtiger als Tiere und Fauna. Nun bin ich eh zu alt, um auf Bäumen herumzuklettern, aber, lieber Herman, angesichts der Lage bin ich inzwischen so weit, jeden einzelnen Baum als wichtiger zu betrachten als alles andere (ohne gleich kitschige Alexandra-Lieder in der geistigen Jukebox zu bemühen).
Die Dringlichkeit eines Umdenkens ist doch offensichtlich. Die Bundesregierung, also CDU/ CSU und SPD hat das Problem ja immerhin erkannt und benannt und im Koalitionsvertrag beschlossen, den täglichen Flächenfraß auf 30 Hektar zu begrenzen – ein Unterfangen, das krachend gescheitert ist, wie man leider konstatieren muss. 60 Hektar Fläche gehen jeden Tag in Deutschland verloren. Wiesen, Weiden und Ackerflächen, Moore und Bäume werden planiert. Gleichzeitig erleben wir einen Rückgang der Artenvielfalt, eine Konzentration der Agrarflächen hin zu riesigen Farmen, die von Kapitalgrößen wie der Schwarz-Familie (Lidl) oder niederländischen Agrar- und Vieh-Großunternehmern zusammengekauft werden. Zusätzlich fügt der Klimawandel der Natur schwere Schäden zu. Sei es direkt durch höhere Temperaturen und Trockenheit, sei es durch indirekte Folgen wie dem Borkenkäfer.
Die Folgen dieser schleichenden Katastrophe auch für den Menschen sind hinlänglich bekannt.
In dieser dramatischen Situation erscheint mir die aktuelle Diskussion um Einfamilienhäuser geradezu grotesk.
Während die Politik noch zankt, tüfteln Stadt- und Landschaftsplaner sowie Architekten schon lange an dem Wohnen der Zukunft. Sie haben nämlich schon lange erkannt, dass es total widersinnig ist, wenn Dörfer einerseits neue Wohngebiete ausweisen, also expandieren, während ihre Dorfkerne stattdessen veröden und Häuser mangels Renovierung veröden.
Und ähnliches in den Städten. Es ist doch kein Naturgesetz, dass eine Innenstadt aus Fußgängerzonen (die überall gleich aussehen) und Shopping-Malls bestehen muss. Dass der stationäre Einzelhandel in den Städten Probleme hat, ist ja kein neues Problem. Corona hat es nur dramatisch verstärkt und in die Öffentlichkeit gedrückt. Die Überlegungen der Fachleute gehen nun dahin, die Innenstädte wieder den Menschen zurückzugeben. In vielen Metropolstädten gibt es massig leerstehenden Büroraum. Wegen Homeoffice wird sich der Leerstand eher noch erhöhen. Genug Potenzial für Wohnungsbau innerhalb der Stadt und auf schon versiegelten Flächen.
Und wie gesagt, wer Platz um sich herum braucht, findet diesen auf dem Land. Um das Leben dort attraktiver zu gestalten, bedarf es eines radikalen Umdenkens. Infrastruktur auf dem Dorf darf nicht verschwinden, sondern muss gestärkt werden. Die Busanbindung, der Supermarkt, der Arzt, die Bank, die Polizei, die Post usw usf. Vielleicht bekommt man als Nebeneffekt auch den Rechtsradikalismus in den Griff, wer weiß? Das ist eine riesiger Kraftakt und kommt einem Kulturwandel gleich. Aber nur so wird es gelingen, menschliche Bedürfnisse und Natur einigermaßen in Einklang zu bringen. Aber dafür bedarf es visionellen Denkens und der Bereitschaft, ausgelatschte Pfade zu verlassen. Das derzeitige Herumgejaule wegen des Teilaspektes „Randbebauung“ zeigt mir, dass das noch ein weiter, weiter Weg ist.
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