Eine Einschätzung von Herman U. Soldan-Parima, Mitglied der Linksfraktion im Sozial- und Gesundheitsausschuss

Der Sozialatlas ist grundsätzlich „eine feine Sache“. Sorgfältig verzeichnet er eine Vielzahl von Daten zur Flensburger Bevölkerungsstruktur und (oft noch interessanter!) zur sozialen Situation der Stadt und ihren Stadtteilen. Vor wenigen Wochen erschien nun die aktuelle Ausgabe – mit einer Datenlage vom 31.12.2019 (PDF-Ausgabe hier aufrufen).
Es leuchtet ein, dass diese Datenlage von der Anfang 2020 beginnenden Corona-Pandemie bis zum Zeitpunkt des Erscheinens insbesondere bei wichtigen Sozialdaten „über den Haufen geworfen“ wurde. Dafür kann die Stadt Flensburg, die diese Datensammlung jährlich herausgibt, nichts. Doch leider werden einige dieser Daten nun für die Planung sowie die alltägliche Arbeit nur schwer zu gebrauchen sein.
Die Corona-Pandemie hat nicht nur den Flensburger Haushalt ziemlich „durcheinander gewirbelt“, sie hat auch die ohnehin angespannte soziale Struktur der Stadt erheblich belastet. Insbesondere durch diverse Lockdown-Maßnahmen wurde und wird der Beschäftigungssektor – und damit auch die Einkommensstruktur der Einwohner*innen – in eine noch stärkere Schieflage gebracht.
Viele (oft von Frauen ausgeübte) Minijobs sind in den vergangenen Monaten im Handel und in der Gastronomie weggebrochen. Da sie keinen Sozialversicherungsschutz bieten (was DIE LINKE seit vielen Jahren heftig kritisiert), fallen monatliche Einkünfte ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld weg und führen die Betroffenen geradewegs ins unsoziale Hartz-IV-Zwangsregime.
Noch Ende 2019 weist der (nun teils überholte) Sozialatlas 2020 eine minimale „Erholung“ bei der Anzahl von Arbeitslosen (über 4.000 Personen, minus 288, Quote: 6,4%), Sozialleistungs-Empfänger*innen (minus 200 auf rund 12.200 Personen) und Wohngeldempfänger*innen (3.470 Personen, minus 219) aus.
Schon durch den Frühjahrs-Lockdown waren diese Zahlen jedoch überholt, Die Arbeitslosenquote stieg im Frühjahr/Sommer auf 10% an und liegt derzeit mit über 4.500 offiziell als arbeitslos Gemeldeten bei 8,7%, Tendenz wieder steigend, denn der zweite Lockdown ist darin noch nicht erfasst. Die Gesamtzahl der Sozialleistungs-Empfänger*innen liegt nach einem merkbaren Anstieg im Frühjahr/Sommer derzeit auf dem Niveau von Ende 2019; aber auch hier ist der zweite Lockdown noch nicht eingerechnet.
In ganz Flensburg waren Ende 2019 fast 17 Prozent aller Flensburger*innen im Sozialleistungsbezug – das ist ein trauriger Spitzenplatz in Schleswig-Holstein und auch bundesweit. Allein im Stadtteil Neustadt sind 50% der Kinder davon und somit von Armut betroffen (in ganz Flensburg sind es 25%). In der gesamten Stadt weist der Sozialatlas 2.400 Personen als Empfänger*innen von Grundsicherung (SGB XII, etwa die Hälfte älter als 65 Jahre) aus; das sind über 6 Prozent der Stadtbevölkerung.
Die Corona-Wirtschaftskrise hinterlässt also – insbesondere bei den materiell Schwächsten – noch mehr merkbare negative Spuren, die im aktuellen Sozialatlas aufgrund seiner frühen Datenlage noch keine Berücksichtigung finden konnten. Für mehrere hundert Personen bedeutet dies eine verschärfte soziale Situation und eine erhöhte Bedrohung durch Armut. – Dies sollte bei den Planungsvorgängen der Stadt bei den Themen Wohnen, Nahverkehr und soziale Benachteiligung dringend erhöhte Aufmerksamkeit finden!