
Ein bisschen traumwandelnd, ein bisschen plakativ – aber vor allem ziemlich unkonkret… So versucht die LINKE-Vorsitzende Katja Kipping zurzeit, wortgewaltige Wegmarken für die Bundestagswahl in einem Jahr zu setzen und Optimismus zu versprühen. Ihr Zauberwort lautet „Soziale Mehrheiten links der Union“ – nicht ganz neu, klingt aber irgendwie schlagkräftig. Doch es bleiben viele Fragen offen…
Und so verkündete Katja Kipping in ihren aktuellen Sommerinterviews: „Um die notwendigen sozialökologischen Veränderungen umzusetzen, sind wir bereit, in eine Bundesregierung zu gehen. Dazu brauchen wir soziale Mehrheiten links der Union. (…) Wir müssen bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr auf jeden Fall zweistellig werden. Dann ist vieles möglich.“
Aber wie soll das eigentlich rein rechnerisch klappen? – Was sich da so „links von der Union“ tummelt, ist inhaltlich heterogen und hat seit recht langer Zeit eine Nicht(!!!)-Mehrheit von etwa 40 Prozent. Der Grünen-Hype ist etwas abgeklungen, die SPD kommt, was auch immer sie macht, einfach nicht „hinten hoch“ – und DIE LINKE reicht an ihr letztes Bundesergebnis von gut 9 Prozent schon lange nicht mehr heran, „zweistellig“ ist nicht in Sicht. Schwierig irgendwie…
Auf wen setzt Katja Kipping (und die, die sie dabei im Bundesvorstand oder sonstwo unterstützen) dabei eigentlich? Auf die eigene Partei, der sie 15 Prozent zutraut? Ja, wünschenswert wäre das, doch derzeit bleibt so etwas eher eine bunte Rakete, die wie viele andere schnell zu verpuffen droht, denn die Linkspartei müsste sich verdammt anstrengen, hunderttausende Wähler*innen, die sich von ihr abgewandt haben, „freundlich aber bestimmt“ zurückzugewinnen. Bisher deutet aber noch nicht sehr viel darauf hin, dass sie genau das versuchen würde…
Und wie sieht‘s mit der SPD aus? Bei manch viel versprechendem Wort kommt – auch bedingt durch die GroKo-Zwangsjacke – oft nur Mittelmaß heraus. Zugkraft und Wahlattraktivität sehen anders aus… So blieben nur die Grünen, die sich auch nach außen auf Habecks wortgewaltige Philosophierereien zu verlassen scheinen. Nach links wird dabei selten geblinkt… – Und: Beide Parteien springen auf Kippings aufgemöbelte Vision von „sozialen Mehrheiten links der Union“ nicht wirklich an. Weil sie es nicht können oder weil sie es gar nicht so recht wollen – oder weil der Wind schon lange nicht mehr forsch nach links weht…
Mal ganz ehrlich, SPD und Grüne haben, wenn‘s drauf ankommt, mehrere andere Machtoptionen im Bund als eine nicht ganz standfeste Dreier-Koalition mit der Linkspartei. Insgeheim mögen sie andere Konstellationen bereits anstreben oder diese dann nach der Wahl spontan zurechtzimmern. DIE LINKE ist für sie dabei nicht die allererste Option, auch wenn Katja Kipping derzeit dafür zu trommeln versucht. Ihre Vision könnte also schon rein rechnerisch oder aus machtpolitischen Überlegungen der Anderen fehlschlagen – und ob sie die Parteimitglieder (die damit wohl auch angesprochen werden sollen) oder die Wähler*innen zu linken Höchstleistungen auflaufen lässt, ist keineswegs sicher.
„Mehrheiten links der Union“ (würden sie denn je erreicht werden), wären wohl auch für die Linkspartei kein Selbstläufer, denn zu sehr steht sie mit wichtigen Kernbotschaften, besonders in der Sozial- und Friedenspolitik, sowie mit Alternativmodellen ziemlich allein da. Es würden schmerzhafte Kompromisse drohen, denn an SPD und Grünen ist gar nicht so viel „links“, wie die Formulierung Katja Kippings vermuten lässt… Sie haben sich schon seit langem offensiv in der „Mitte“ platziert. Ein inhaltlich konsequenter Wahlkampf der LINKEN müsste sich eben auch gegen die Oppermanns (von der SPD) oder die Özdemirs (von den Grünen) richten. Ziemlich viel Spagat für eine kleine Partei, die selbst nicht vor Geschlossenheit strotzt…
Ein gewagtes Unterfangen, das die LINKE-Vorsitzende da so gänzlich alternativlos nach außen trägt – zum einen weil die noch unausgegorene Strategie eben nicht automatisch Erfolg verspricht und zum anderen weil sich parteiintern schon seit längerem deutlicher Widerstand dagegen abzeichnet – und das in verschiedenen Strömungen. Am hörbarsten hat sich der hessische Landesverband klar begründet gegen eine Koalitionsfestlegung positioniert. Das sollte nicht unterschätzt werden, ist er doch der einzige in einem westdeutschen Flächenland, wo die Partei überhaupt in einem Landtag vertreten ist.
Mindestens ebenso problematisch ist aber Katja Kippings nach außen getragene Alternativlosigkeit bei der Zielformulierung „in eine Bundesregierung zu gehen“ – und das auch noch im „Wir“-Ton… Ist die Linkspartei wirklich „bereit“ und willens dazu? Entschieden ist das durch einen Parteitag nicht, und so bleibt es ein Top-Down-Vorstoß, der mögliche Diskussionen und Alternativen außer Acht lässt – und parteiintern ziemlich nassforsch daherkommt…
Dabei gäbe es Alternativen: Eine Fortsetzung der Oppositionsarbeit wäre denkbar, denn einige Bundestagsabgeordnete haben fleißig gearbeitet und das LINKE Profil auch in der Öffentlichkeit erfolgreich gestärkt sowie die mediale Debatte zur sozialen Gerechtigkeit mitbestimmt. – Eine Linkspartei dürfte auch gerne den Schneid und die Kreativität haben, die Unterstützung einer Minderheitsregierung anzubieten und so die parlamentarische Demokratie etwas zu beleben (anderswo in Europa funktioniert das, gerade auch für linke Parteien)… Und: Wie sehr würde eine Koalitionsfestlegung eigentlich den viel beschworenen Draht zu den „Bewegungen“ behindern?
Und noch ein Fehler: Mit Katja Kippings Regierungsfokussierung dürften die Wahlkämpfer*innen auf der Straße oder in den Medien immer wieder Fragen wie „Wollt ihr dann immer noch aus der Nato raus?“ oder „Was ist, wenn ihr in einer Regierung keine ausreichende Mindestsicherung oder Mindestrente durchkriegt?“ usw. um die Ohren gehauen bekommen. Es dürfte ein permanenter „Koalitionstauglichkeits-Check“ für die Linkspartei werden, bei dem die eigentlichen Wahlaussagen nur noch schwerer nach außen zu tragen sind… Chancensteigernd und attraktiv dürfte das nicht gerade sein.
Als Parteimitglied der LINKEN stehen mir daher die Haare aktuell noch mehr zu Berge als bei einigen Einlassungen von Genoss*innen, die sonst noch immer wieder durch die Medien oder durch die Partei geistern. Ich fürchte die Folgen dieses Vorstoßes und glaube, dass „meine Partei“ einen solchen Kurs der vermeintlichen Alternativlosigkeit (sollte er sich denn durchsetzen) nicht verdient hat. Einige Konsequenzen daraus dürften womöglich erst dann zu Tage treten, wenn Katja Kipping vielleicht schon nicht mehr Parteivorsitzende sein wird…