…fĂŒr die Bevölkerung, die Natur â und die Welt

Brasilien, SĂŒdamerikas gröĂtes Land mit ĂŒber 200 Millionen Einwohnern, steht am Abgrund. Das Regime des neofaschistischen PrĂ€sidenten Jair Bolsonaro, der Ende 2018 mit Mehrheit ins Amt gewĂ€hlt wurde, verwandelt das Land in eine politische und moralische Ruine. Ihm und seinen VerbĂŒndeten der GroĂgrundbesitzer, Teilen des MilitĂ€rs sowie der weiĂen Oberschicht im Wirtschafts- und Finanzsektor war es 2016 gelungen, mit medialer UnterstĂŒtzung einen Coup gegen die Regierung der linken PrĂ€sidentin Dilma Rousseff und ihren noch viel populĂ€reren VorgĂ€nger Luiz IgnĂĄcio Lula da Silva, der 2018 wieder zur PrĂ€sidentschaftswahl antreten wollte, durchzusetzen.
Dilma und Lula, wie die beiden StaatsoberhĂ€upter der Arbeiterpartei PT oft nur genannt werden, war im Kampf gegen die Korruption (auch in den eigenen Reihen) die Luft ausgegangen. Viele Sozial- und Gesundheitsprojekte schlugen zwar positiv an, befreiten Millionen Menschen aus der Armut, erhöhten den Zugang zu Bildung fĂŒr alle und ermöglichten fĂŒr viele den Aufstieg in die materiell besser abgesicherte (untere) Mittelschicht. Gegen die Macht der Wirtschaft, der Agrarindustrie und der GroĂgrundbesitzer kamen sie jedoch nicht an, denn diese verteidigen bis heute ihre Privilegien und Profite mit ZĂ€hnen und Klauen. Die PT-Regierungen hatten nach zehn Jahren recht erfolgreicher Politik bald keinen Spielraum mehr.
Diese Krise machte sich Bolsonaro mit seinen VerbĂŒndeten zunutze und plante ein Rollback der sozialen Errungenschaften, der Chancengleichheit fĂŒr alle Ethnien des Landes, fĂŒr Frauen und sexuelle Minderheiten. Nach dreistester LĂŒgenpropaganda gegen Lula und das linke Brasilien, gepaart mit offener verbaler und körperlicher Gewalt gegen alles Progressive und dem mörderischen Treiben paramilitĂ€rischer Banden, erlangte Bolsonaro die mehrheitliche Zustimmung bei den PrĂ€sidentschaftswahlen â vornehmlich aus der weiĂen Ober- und der oberen Mittelschicht, die auf die Festigung ihrer Privilegien hoffte. Viele wĂ€hlten damit den Brandstifter und seine mĂ€chtigen Komplizen zum Löschen der aufgetretenen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise.
Heute, nur eineinhalb Jahre nach Bolsonaros Machtantritt, rĂ€cht sich das mit weit reichenden und fĂŒrchterlichen Folgen. Der Hass der Bolsonaro-Clique gegen Gleichstellung, Frauenrechte und soziale Chancen fĂŒr die materiell SchwĂ€chsten, der sich bis heute auch in zĂŒgelloser, offener Gewalt zu erkennen gibt, hat das Land nicht nur tief gespalten, sondern auch seine WĂŒrde und Moral diskreditiert. Zum traditionellen âbrasilianischen Stolzâ haben sich bei vielen Menschen lĂ€ngst Angst, Verzweiflung und hilflose Wut auf den Verfall des Landes hinzugesellt.
Die Bolsonaro-Machtclique setzt auf Eliten- und Konzernwirtschaft â gegen indigene Minderheiten und ihre Lebensgrundlagen und gegen die materiell wieder Ausgegrenzten der groĂen schwarzen und Latino-Bevölkerung. Sie geht dabei im wahrsten Sinne des Wortes ĂŒber Leichen. Mitglieder des sich immer stĂ€rker formenden Widerstandes leben gefĂ€hrlich, denn sie sind nicht nur öffentlichen Anfeindungen ausgesetzt, sondern auch körperlicher Gewalt â bis hin zum Mord. WĂ€hrenddessen stopfen sich Agrar-, Ăl- und Industriekonzerne die Taschen voll und decken damit bzw. betreiben aktiv die Verrohung der Gesellschaft.
Bolsonaro hebelt die Demokratie aus und geht offen gegen den Bundesgerichtshof und das Parlament vor. Er verhöhnt die Opfer der selbst angezettelten Verfolgung und des zunehmenden Terrors und gibt seinem Wunsch von der RĂŒckkehr zu einer autoritĂ€ren Oberklassen- und MilitĂ€rdiktatur, der er selbst entstammt, immer mehr Raum.
Er leugnet den Klimawandel â und lĂ€sst in rasendem Tempo RegenwaldflĂ€chen abholzen, um der Agrarindustrie und den GroĂgrundbesitzern immer mehr ProfitgrĂŒnde fĂŒr den Soja-Anbau und eine ĂŒberdimensionierte Viehwirtschaft zuzuschanzen. Daran leidet die ganze Welt, doch ein Boykott dieser brasilianischen Exportwaren wird nirgendwo auch nur ansatzweise in Betracht gezogen. Dabei sollte âdie Weltâ schnell und umfassend darauf reagieren â wegen des Klimas, aus sozialer SolidaritĂ€t und um die Demokratie im fĂŒnftgröĂten Land der Welt wiederherzustellen. Sie braucht ein demokratisches, progressives und klimaengagiertes Brasilien, wie Lula und Dilma es angestrebt und teils auch umgesetzt hatten.
âEr ermordet unser Volk!â, so klingt es im demokratisch-linken Widerstand, denn Bolsonaro verleugnet die Gefahren der Corona-Pandemie und boykottiert die MaĂnahmen der Regierungen der Bundesstaaten, um die Profite der Wirtschaft nicht zu schmĂ€lern. Ausreichende UnterstĂŒtzung fĂŒr LohnausfĂ€lle und kleine Unternehmen gibt es nicht. Die Folgen sind katastrophal: Fast nirgendwo gibt es so viele Infektionen und TodesfĂ€lle â von den USA, wo ein Ă€hnlicher Geist herrscht, einmal abgesehen, wie in Brasilien. â Und ganz nach Bolsonaros Gusto: Die Pandemie trifft die Ărmsten mit voller Wucht. Doch mit denen hat er ohnehin nichts am Hut⊠Sie sind ihm egal.
Es ist ein Gebot der Menschlichkeit: Bolsonaro muss weg!!! â Und die Staatengemeinschaft muss endlich aktiv werden, um das âstolzeâ Brasilien von dieser Machtclique zu befreien. Noch gibt es den stolzen Geist des sozialen, ökologischen und emanzipativen Widerstandes, und er rĂŒhrt sich immer mehr. Genau das verdient die UnterstĂŒtzung der Weltgemeinschaft. Wir alle brauchen ein offenes, sich positiv und sozial entwickelndes Brasilien â fĂŒr bessere LebensverhĂ€ltnisse, als Gegengewicht zum rĂŒcksichtslosen Konzernkapitalismus und als aktives Mitglied bei der BekĂ€mpfung der Klimakrise.
Lieber Herman,
du hast völlig Recht. Bolsonaro ist eine Katastrophe. Und man muss sich die Frage stellen, was dazu gefĂŒhrt hat, dass dieser Despot demokratisch gewĂ€hlt wurde.
Zum einen liegt es sicherlich an den von dir angesprochenen manipulierten Prozessen gegen Dilma und Lulu. Auch hast du sicherlich Recht wenn du anmerkst, dass die Korruption auch unter den linken Regierungen grassierte.
Hinzu kommt m,E. noch die massive mediale Förderung der reaktionÀr-konservativen (bis hin zu offen faschistischen) KrÀften durch Trump selbst und regierungsnahe Medien in den USA.
Ferner ist der Einfluss und die groĂe Macht der vielen evangelikalen Freikirchen in dem Land nicht zu unterschĂ€tzen (s.a. https://taz.de/Brasiliens-Evangelikale-und-Corona/!5675865/), die in ihren Gottesdiensten, aber auch ĂŒber ihre KanĂ€le im Internet zahlreiche Menschen erreichen und massiv fĂŒr Bolsonaro getrommelt haben.
Korruption, Ă€uĂere Einmischung und fehlgeleiteter Glaube… das ist der NĂ€hrboden fĂŒr Figuren wie Bolsonaro. Dagegen helfen nur Bildung, mehr Wohlstand und AufklĂ€rung. Ein weiter Weg đŠ
LikeLike
Ja, lieber Jochen, es ist wahrhaft eine Katastrophe, was sich im sonst so schönen Brasilien abspielt. „Wir“ haben es hier mit einem Schichten- bzw. Klassenproblem zu tun, meine ich, ursĂ€chlich aber vornehmlich mit einem „Medienproblem“. – Es gab ein mediales Trommelfeuer gegen die PrĂ€sidentin Dilma Rousseff, bei dem die schlimmsten LĂŒgen und Anfeindungen gegen sie wiederholt und genĂŒsslich verbreitet wurden. Die groĂen TV-Konzerne (Globo und Record) und die Pressegiganten befinden sich alle in privat-bĂŒrgerlicher Hand. Und da Dilma auĂerhalb des linken Spektrums nicht die gleiche Durchschlagskraft hatte wie ihr VorgĂ€nger Lula, war es ein Leichtes, die Probleme des Landes (von denen es die meisten schon jahrzehntelang gab) gegen sie in Stellung zu bringen – gewĂŒrzt mit o.g. LĂŒgen und Anfeindungen. In den (a-)sozialen Netzwerken verbreitete sich das wie ein Lauffeuer. Gleichzeitig sollte Lula fĂŒr eine erneute Kandidatur diskreditiert werden. – Hat „geklappt“, denn wir beide wissen, dass LĂŒgen und Unterstellungen (im Kleinen wie im GroĂen) nur schwer mit Argumenten zu stoppen sind. – All dies hat insbesondere die obere Mittelschicht nicht nur verunsichert, sondern politisch nach rechts radikalisiert. ZusĂ€tzlich gab es Protestwahlstimmen auch von denen, fĂŒr die die Politik der Arbeiterpartei zu langsam ging oder nicht mehr durchschlug.
Doch dabei darf auch nicht vergessen werden, dass Brasilien weder unter Lula noch unter Dilma die Korruption (auch bis in eigene Reihen hinein) losgeworden ist – und auf Korruption reagieren nahezu alle anstĂ€ndigen Brasilianer*innen (auch emotional) mit starker Ablehnung. – DarĂŒber hinaus konnte die Arbeiterpartei ihren Balancegang gegenĂŒber den Wirtschafts- und Agrar-Eliten nicht mehr lĂ€nger durchhalten… Viele politischen Ziele blieben (zumindest auf den ersten Blick) unerfĂŒllt.
Brasilien ist aber zugleich ein weiteres LehrstĂŒck, wie schnell Demokratie aufgegeben wird, wenn die politische Brechstange eingesetzt wird. – Ungarn, Polen, die USA und die TĂŒrkei haben das schon vorher durchgemacht. ReaktionĂ€res Gebaren und neuer Faschismus erscheinen vielen dabei nicht als Bedrohung, wenn es vermeintlich um andere Dinge geht. – Fast alle der genannten LĂ€nder (auch Brasilien) haben vor nur wenigen Jahrzehnten grĂŒndliche Bekanntschaft mit reaktionĂ€ren und faschistischen Diktaturen stiften mĂŒssen – und trotzdem sind sie nun bei Wahlen mehrheitlich den Brandstiftern gefolgt.
Je nach Sach- und geographischer Lage passen solche Regime ĂŒbrigens gut ins Konzept der mĂ€chtigsten Konzerne, der RĂŒstungsindustrie und der politischen Machtcliquen, vornehmlich in den USA… Solche katastrophalen Machtinteressen hat es ĂŒbrigens auch im Deutschland der 1920er und -30er Jahre gegeben – und ohne sie hĂ€tte es den deutschen Faschismus wohl nur schwer geben können! – Wenn’s hart auf hart kommt, artet aggressiver Kapitalismus immer wieder in Faschismus (oder Ă€hnliche Formen) aus. – Soziale Nöte und mangelndes Bildungsniveau (beides ist ja ein Ergebnis kapitalistischer Gesellschaftspolitik) wirken hier zusĂ€tzlich verstĂ€rkend.
LikeLike