„Arme Helden“

Oder: Wie wortgewaltige Floskeln den Blick vernebeln…

Ich kann das verbale Trommelfeuer von „wahren Helden“, die die Gesellschaft in dieser Zeit am Laufen halten, nicht mehr hören. – Es ist wie eine Nebelwolke, in der diffuse Emotionen den analytischen Blick verstellen sollen. Es geht um die Millionen von Menschen, die derzeit in Krankenhäusern, Laboren, Pflegeeinrichtungen, in Supermärkten, im Transportwesen und bei den Zustelldiensten und anderswo unermüdlich am Limit ihrer Kräfte arbeiten, damit „der Laden“ nicht zusammenbricht.

Was sie leisten, ist toll, unverzichtbar und verdient höchste Anerkennung – und ihr Arbeitsethos erscheint ungebrochen… Aber: Fast genau so war es auch schon vor der Corona-Krise… Alle diese Beschäftigten hatten auch vorher miese Löhne oder schlechte Arbeitsbedingungen – oder beides! Und auch vorher haben sie dennoch „den Laden am Laufen gehalten“ – und auch vorher waren sie bereits die eigentlichen „Leistungsträger*innen“ der Gesellschaft, wie Sahra Wagenknecht und andere es mehrfach ausgedrückt haben.

Nun – viel zu spät – sehen „wir“ das daraus erwachsene Missverhältnis von wichtiger Arbeit und entwürdigend niedriger Entlohnung. – Die Pflegebeschäftigten, das Fahrpersonal unserer Busse, die Teilzeitbeschäftigten in Gastronomie, Hotellerie und im Handel oder die Paketzusteller wissen das alles selbst schon lange – und sie leiden darunter, sie fürchten Armut (jetzt oder im Alter) oder leben trotz Arbeit an der Armutsgrenze und sie zehren ihre Kräfte auf.

Und da fällt vielen in der Politik, im journalistischen Homeoffice und in Vorstandsetagen nichts Besseres ein als diese Menschen als „Helden“ zu bauchpinseln. Noch vor einigen Wochen haben sie sich darum einen feuchten Kehricht geschert. Die neue Welle des Heldentums soll lieber einen Mythos pflegen, anstatt sofort und in Zukunft ordentliche Arbeitsbedingungen und Entlohnungen zu fordern und herzustellen. – Ich halte das für verlogen, und die Millionen Beschäftigten werden mit Blümelein und Dankeschön und dem Heldentitel am Kittel wieder an der Nase herumgeführt – so wie „wir“ alle…

Als politisch aktiver Linker gehöre ich – wie auch „echte“ Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen – zu denen, die seit Jahren und Jahrzehnten die Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen (Gesundheit, Pflege, Transport, Post etc.) abgelehnt und mesnchenwürdige und gut entlohnte Beschäftigung in diesen Branchen gefordert haben. Doch wir wurden in Politik, Wirtschaftsetagen und Medien dafür ignoriert, beschimpft oder mitleidsvoll belächelt.

Sie alle haben die Beschäftigten nur als „Kostenfaktor“ gesehen, den es aus Konkurrenz- und Profitgründen immer weiter zu senken galt, während die neuen Konzerne auf ihren Schultern Milliarden Profite einfuhren – und teils üppige Renditen an ihre Aktionärseliten verteilten. – Das war und ist purer Neoliberalismus, der die öffentliche Versorgung zum Tummelbecken für Profithaie macht. Und wenn Löhne nicht weiter zu drücken sind, dann müssen willige Arbeitskräfte aus Osteuropa, Asien oder Mexiko ran. Und so müssen „unsere Helden“ immer weiter dem Lohndruck hinterherhecheln, während die Wirtschafts- und Servicestrukturen in den genannten Weltregionen immer weiter verfallen.

Nein – wer es mit einer Anerkennung für die Beschäftigten ernst meint, muss jetzt (!) und für immer ordentliche Tarif- und Facharbeitslöhne bezahlen, zentrale Dienstleistungen in staatliche Regie zurückholen (und so die neoliberale Enteignung der Beschäftigten stoppen!) – und die Gesellschaft über wirksame Vermögens- und Spitzensteuersätze finanzieren!

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