Oder: Wenn Polit-Phrasen unverständlich bleiben…

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung mag „den Kapitalismus“ nicht. Das ist nachvollziehbar und anhand der Millionen durch Niedriglöhne, Armutsrenten und Hartz-IV-Regime materiell ausgeplünderten Menschen auch ziemlich logisch. – Bei einigen (Partei-)Linken heißt die Reaktion darauf ganz chic neuerdings „System Change“, wörtlich übersetzt „Systemwechsel“ oder „Systemwandel“ – je nach Einstellung… (klingt übrigens auf Deutsch rein sprachlich mindestens ebenso verständlich, oder?). Ursprünglich als „System Change Not Climate Change“ aus der Klimabewegung übernommen, bleibt hier und da nur die Botschaft „System Change“ übrig…
Mal abgesehen davon, dass Millionen Menschen immer wieder ihre letzten Cents zusammenkratzen müssen, um ihren Alltag bewältigen zu können, haben sie vielleicht doch ganz andere (und zwar sehr konkrete) Sorgen und Bedürfnisse als nun ausgerechnet das System zu wandeln bzw. zu wechseln. – Und da das Schlagwort für sie wohl eher eine leere Phrase bleibt, verhallt es schnell, denn es bringt ihnen keine nachvollziehbare Verbesserung ihrer Lebenssituation.
Und genau das ist der Knackpunkt, zu dem LINKE-Politiker/innen wie Jan Korte und Sahra Wagenknecht nicht erst seit gestern fordern: Benennt die brennenden Probleme und formuliert unsere Lösungsangebote so, dass die vielen Menschen sie verstehen und darauf reagieren können!!! – Mit smarten Schlagwörtern, die sich eher an die eigenen Mitglieder (also nach innen) richten, gelingt so etwas nicht.
Aber nehmen wir die Verbal-System-Changer doch mal beim Wort: Das System Kapitalismus soll also ausgewechselt oder irgendwie „gewandelt“ werden – so weit, so gut. Seine ProtagonistInnen haben nachgewiesenermaßen in nur 15 Jahrzehnten weltweit soziale Armut, fürchterliche Kriege und die Zerstörung von Umwelt und Klima zu verantworten, und die Wohlstandsversprechungen haben vergleichsweise nur wenige Menschen in wenigen Teilen der Welt erreicht. – Daher nun ein paar Fragen zum Begriff „System Change“:
WOHIN soll denn „gewechselt“ oder „gewandelt“ werden? – In Verbindung mit dem Change-Schlagwort tauchen dann Adjektive wie „sozial“, „gerecht“, „klimafreundlich“ – oder sogar einfach nur „besser“ auf, um eine zukünftige Gesellschaft zu beschreiben. Das klingt irgendwie gut, bleibt aber eine sehr schwammige Angelegenheit, zu der viele Menschen wohl bestenfalls schüchtern nicken können, aber nicht viel klüger oder gar handlungsbereiter werden – insbesondere wenn materielle Not ihren Alltag bestimmt.
Für einen systemkritischen Diskurs gibt es allerdings etwas, das DIE LINKE bereits seit ihrer Gründung als Leitlinie und zugleich als Ziel vorgibt – und das ist der „Demokratische Sozialismus“. Als Wortkonstrukt bleibt auch er zunächst abstrakt und wenig konkret – und er ist aus historischer Sicht sehr erklärungsbedürftig. Doch das sollte durch die konkreten Inhalte möglich sein. Hier nur ein Beispiel: Wenn es echte Mitbestimmung und genossenschaftliches Miteigentum an großen Banken und Betrieben gäbe, wäre die rücksichtslose Profitorientierung auf Kosten der Bevölkerung nicht mehr möglich.
So etwas (und viel mehr) sollte man bei verständlicher Vermittlung dann also auch als das benennen, was es ist, nämlich als „Demokratischen Sozialismus“. Klingt nicht ganz so smart, ist aber weit weniger inhaltsarm – und wäre ein echter Systemwechsel! – Sollte von den „Changern“ jedoch lediglich der Wandel hin zu einem (weltweiten) „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“ gemeint sein, fehlt zumindest mir dafür die Fantasie – und auch der Glaube daran…
Nun, WIE soll eigentlich „gechanged“ werden? – Geht es hier um „Reform (Wandel) oder Revolution (Wechsel)“? An dieser Stelle treten sicherlich ideologiefeste Linke auf den Plan, denen Reformen innerhalb des kapitalistischen Systems als nicht ausreichend erscheinen können. Dann würde ja nichts grundlegend „gechanged“, denn einen „netten“ Kapitalismus wird es nicht geben… Also dann eher Revolution? Da springen gewiss all die Linken auf, die es „eigentlich schon immer gewusst“ haben. – Aber springen damit auch automatisch die vielbeschworenen „Massen“, die derzeit eher skeptisch nach links schauen, mit auf? – Wohl kaum… Und: „Change“ klingt auch eher wenig nach „Umsturz“ oder nach „Revolution“. – In diesem Sinne wäre es eher eine diffuse Mogelpackung, mit der nicht viel anzufangen ist…
Und vor allem: WER „wechselt bzw. wandelt“ hier eigentlich ein ganzes Gesellschaftssystem…? – Gehen da irgendwelche ideologiefeste Linke oder sonstwie Progressive selbstbewusst voran? Nun ja, vielleicht ein Träumchen, der immer wieder in einigen linken Diskussionszirkeln kursiert… Und: Reichen dafür bundesweit 20.000 oder 200.000 oder sollten es lieber doch 20 Millionen sein? – Würde die neue junge Mittelschicht, auf die einige Partei-Linke so heftig schielen, dafür wirklich ihre hart erkämpfte bürgerliche Lebensgrundlage aufs Spiel setzen? Oder wollen Hunderte in den „Kämpfen“ womöglich in die Tränengaswolken ziehen, falls sich ihnen Kapital und Konservative (oder sogar Faschos) in den Weg stellen?
Derzeit zeigen die „Massen“ hingegen eher eine Absetzbewegung von „allem Linken“, denn auch schon vor der „Change“-Begeisterung haben viele die politische Linke nicht mehr verstehen oder als für sie zuständig betrachten können. Die eigentliche Klientel der sozial und materiell Ausgebeuteten und Benachteiligten hat sich abgewandt und sucht oftmals in privaten oder ganz „unlinken Nischen“ Zuflucht. Sie haben nicht mehr zu verlieren „als ihre Ketten“, aber von links gibt es zu wenig echte Zuwendung oder notwendige Unterstützung – so sehen es zumindest viele nicht ganz zu Unrecht…
Viele, denen ein „System Change“ interessant erscheint und die bei Klima-, Mieten- oder Antirassismus-Demos auf die Straße gehen, meinen aber oft gar nicht den konkreten, grundlegenden „Change“, sondern sie kämpfen für einige wichtige Teilbereiche. Aus den Puzzle-Teilen dieser sehr schwer politisch zu sammelnden Protestbewegungen lässt sich kein einheitlicher Handlungsfaden zur konsequenten Überwindung aller kapitalistischen Strukturen erkennen.
Die von Niedriglöhnen, Armut und Perspektivlosigkeit betroffenen Millionen hingegen haben übrigens keine Protestbewegung vor sich oder hinter sich, die sie stärken und für ein besseres Leben zum Massenprotest ermuntern könnte… Auch die politische Linke unternimmt hier wenig – oder Teile von ihr stürzen sich sogar mit ideologischen Scheuklappen auf die Ansätze zu einer solchen sozialen Bewegung.
Und so bleibt wohl vom Begriff „System Change“ nicht viel mehr übrig als die sprachlich etwas modernisierte Wohlfühlatmosphäre in einigen linken Kreisen. Das schadet erstmal nicht sonderlich, nützt aber für die dort verbreiteten Gesellschaftsträume auch nicht viel. – Gehört und verstanden werden sie „draußen“ damit allerdings ohnehin nicht. Das ist es eigentlich, was solche Phrasen so sinnentleert macht. Sie bleiben in ihrer Unverständlichkeit und Widersprüchlichkeit kontraproduktiv!