Wo bleibt das politische Primat der sozialen Gerechtigkeit?

Oder: Warum sich viele Menschen eine gerechtere Politik wünschen, die politische „Linke“ aber schwach bleibt.

Die Frage nach der Einführung einer Vermögenssteuer wurde in einer Meinungsumfrage jüngst von 72 Prozent positiv beantwortet. Dies ist ein klares Votum, auch wenn die Motive und sonstige politische Haltungen der Befragten dabei nicht erkennbar sind. Eine wenn auch etwas knappere Mehrheit von 55 Prozent lehnt die gültigen Hartz-IV-Gesetze ab, einen Mindestlohn von 12 Euro befürworten bis zu 80 Prozent und einen Mietendeckel könnten sich zwei Drittel vorstellen. – Angst vor sozialem Abstieg und Armut haben (je nach Umfrage) 55-65 Prozent der Befragten.

Dies sind Meinungsbilder, die eine relativ klare Sprache sprechen, die aber in der praktischen Politik nur wenig Niederschlag finden. Wir kennen die Ergebnisse der jahrzehntelangen unsozialen Politik: Jede/r 6. ist von Armut betroffen oder stark bedroht (bei Kindern sogar jedes 5.), jede/r 5. arbeitet im Niedriglohnbereich und 1,5 Millionen Menschen müssen mit Hartz IV aufstocken. Die Zahl der armen RentnerInnen steigt, viele können die steigenden Mieten nicht mehr oder nur noch schwer bezahlen. Diese Liste ließe sich fortführen…

Unsoziale Politik schließt seit Jahren Millionen Menschen aus

Es ist keine neue Einsicht, dass die unsoziale Politik viele Menschen ausschließt, dass viele sich nicht mehr wahrgenommen fühlen und mit ihrer bedrängten Lage (oder der berechtigten Angst davor) die aktive Mitwirkung bei Wahlen und anderen gesellschaftlichen Aufgaben einstellen oder emotional in unreflektierten Protest à la AfD oder Pegida verlagern. – Dennoch rührt sich die Mehrheit der Politik nicht oder bietet bestenfalls einige Schönheitsreparaturen an, die einen radikalen Richtungswechsel hin zu einer glaubhaften sozialen Gerechtigkeit vermissen lassen.

Die SPD befürwortet seit kurzem die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer: 1 Prozent ab 2 Millionen. Gut miaut, Kätzchen, aber das ist noch nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein! – Eine von der SPD in der GroKo durchgesetzte Grundrente, die 1. zu niedrig ist und 2. nur für Menschen mit 35 Beitragsjahren gilt, lässt die Schwächsten außen vor. Kein Grund zum Jubeln also! Dass die Einsicht für einen armutsfesten Mindestlohn von mindestens 12 Euro bei SPD und Grünen drei Jahre dauert, ist ein schlechter Witz! – Und dass Hartz IV nicht „mehr zeitgemäß ist“ (und auch niemals war!) fällt diesen beiden Parteien, die die unsoziale „Agenda“ dereinst auf den Weg gebracht haben, erst nach 20 Jahren ein. Wie sozial eine armutsverhindernde Mindestsicherung wirklich sein muss, dazu herrscht Schweigen im Walde!

Da ist es kein Wunder, dass sich Millionen von Menschen aus diesen und anderen Gründen enttäuscht oder erbost von der derzeitigen Parteipolitik abwenden und die „Demokratie“, die sie materiell enteignet und den Reichsten ein milliardenschweres Privileg nach dem anderen zugeschustert hat (und dabei auch noch ihre kriminellen Steuerhinterziehungen duldet!), nicht mehr als die ihre ansehen.

Ungleichheit hebelt Demokratie und Freiheit aus

Trotz aller hübschen Lippenbekenntnisse von SPD und Grünen in den vergangenen Monaten ist eine wahre Umkehr zu sozialer Gerechtigkeit jedoch nicht (mehr) zu erwarten. Für die Schwächsten allemal nicht! Wer darauf noch immer hofft, begibt sich in den Dschungel unerfüllbarer Illusionen.

Die Demokratie bleibt so weiterhin in Gefahr. Das zeigt auch die bleibende Stärke der rechtsextremen AfD. Hier sammeln sich Wut, Enttäuschung und Frustration. Ihre Wähler sind nicht alle „Nazis“, aber sie nehmen im Zuge der geschwächten Demokratie (siehe oben) in Kauf, diese Szene zu stärken – und teils auch nachträglich rechtsextremes Gedankengut zu übernehmen. Ich habe das Zitat schon öfter verwendet: „Es muss ein Klima vorhanden sein, in dem Fremdenfeindlichkeit und Neonazismus gedeihen können“. – und genau dieses Klima wurde in der BRD (und anderswo!) mit sich zuspitzenden kapitalistischen Auswüchsen seit Jahrzehnten immer mehr erzeugt.

Rechte Gesinnung ist eben keine demokratische Meinung wie viele andere; sie blendet Mitmenschlichkeit aus, sie ist aggressiv und irrational. Da spielt es dann auch gar keine Rolle mehr, dass die AfD gar keine sozialen Botschaften hat und in ihren programmatischen Grundzügen eine radikal-kapitalistische Partei ist. Das haben rechtsextreme Parteien nun mal so an sich, und dies bestätigt die These, dass „der Kapitalismus den Faschismus in sich trägt“. Geschichte und Gegenwart liefern dafür weltweit erschreckende Belege.

Es muss ein politisches Primat der sozialen Gerechtigkeit geben

Millionen von Menschen aus der Ecke des rechten Ungeistes und der damit verbundenen Horizontverengung wieder herauszuholen, dürfte sich als schwierig erweisen – insbesondere wenn die Mehrheit der im Bundestag vertretenen Parteien so weitermacht wie bisher und nicht den Mumm hat, den von ihnen herbeigeführten unsozialen Kern der Gesellschaft zu beseitigen. Trostpflästerchen, hübsche Lippenbekenntnisse und Almosen, wie sie derzeit durch die Medien geistern, reichen hier nicht aus!

Wenn nicht endlich „das Soziale“ zum bestimmenden Element der politischen Debatten wird, bleibt unsere Demokratie und die Freiheit und der Frieden in gefährlicher Schieflage und Hass, Hetze, Gewalt, Kriminalität und Totalitarismus werden die Demokratie weiter aushebeln.

Eine gerechte Steuerpolitik (und eine Vermögenssteuer, die diesen Namen auch verdient), die endlich wieder von oben nach unten rückverteilt, ist Sozialpolitik. Auskömmliche Löhne und Renten sind Sozialpolitik, eine demokratisierte Wirtschaft ist Sozialpolitik, bezahlbare Mieten sind Sozialpolitik – und ebenso ein für alle attraktiver Nah- und Fernverkehr, die notwendige Abrüstung und erst recht eine nachhaltige Klimapolitik sind Sozialpolitik.

Sollte all dies nicht sehr bald unter dem Primat der sozialen Gerechtigkeit diskutiert und möglich gemacht werden, könnten sich nicht zu unterschätzende Teile der Bevölkerung notwendigen Veränderungen und Erneuerungen weiter verschließen und diese schwieriger oder teilweise unmöglich machen!

DIE LINKE sollte jetzt ihren sozialpolitischen Vorsprung nutzen

Es gibt eine Partei, die in dieser Neuorientierung auf das Primat der sozialen Gerechtigkeit ohne viele Verrenkungen sofort „loslegen“ könnte – das ist die (meine) Partei DIE LINKE. Sie hat dafür bereits notwendige Beschlüsse für soziale Gerechtigkeit gefasst, bleibt aber bei deren Propagierung derzeit noch zu farblos und leistet sich interne Ideologiedebatten und Flügelkämpfe, die die Außenwirkung seit mehr als zwei Jahren lähmen.

Weil DIE LINKE aber nach außen noch nicht überzeugend genug auftritt oder sprachlich undeutlich bleibt, leidet auch sie an der Abkehr oder der Abwanderung von früher interessierten Menschen und stagniert in der politischen Landschaft. Dennoch: DIE LINKE bleibt ein wichtiger politischer Faktor für eine erneuerte soziale (und damit auch re-demokratisierte) Gesellschaft.

Sie sollte ihren (noch) bestehenden Vorsprung schnellstmöglich nutzen. Mehrheiten in der Bevölkerung hätte sie dafür. Sie könnte somit in der politischen Debatte und sogar bei zukünftigen Minderheitsregierungen tonangebend (und verstärkt wählbar!) werden. Das LINKE Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus ist als Leitlinie wichtig (aber für viele Menschen nicht konkret und damit auch nicht wahlentscheidend). Viel wichtiger ist allerdings ihr „nach außen“ sichtbares Tun für eine sozial (wirklich) gerechte Gesellschaft.

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