đŸ‡”đŸ‡č „Von Portugal lernen…“ (?)

Bei den gestrigen Parlamentswahlen wurde die Lissaboner Links-Regierung gestĂ€rkt – eine positive und durchaus logische Folge der sozialen Politik der letzten vier Jahre. Ein Erfolgsrezept fĂŒr linke Politik – auch anderswo…?

Ein Kommentar von Herman U. Soldan

Ein paar Federn mussten der Linksblock Bloco de Esquerda (BE) und die Kommunistische Partei (PCP) zugunsten der regierenden linkssozialdemokratischen PS zwar lassen, doch dies Ă€ndert nichts am Erfolg der von BE und PCP tolerierten PS-Regierung. Nachdem die beiden UnterstĂŒtzerparteien 2015 krĂ€ftig zulegen konnten (auch aus Protest gegen die unsoziale Sparpolitik der Konservativen in der vorausgegangenen Legislatur), haben sich einige ihrer WĂ€hler wohl nun fĂŒr die StĂ€rkung des PS-MinisterprĂ€sidenten Costa entschieden.

Die PS konnte die Konservativen, die 10 Prozent verloren, ĂŒberrunden und noch gut vier Prozent (auf 38,65) zulegen. Der „Bloco“ bĂŒĂŸte lediglich 0,5 Prozent ein, bleibt aber recht stabil bei 10 Prozent der Wahlstimmen (9,67), die PCP musste knapp 2 Prozent abgeben (6,46). – Eine Wahlniederlage der beiden Linksparteien ist dies aber wohl eher nicht, denn beide werden auch zukĂŒnftig eine Costa/PS-Regierung tolerieren und weitere soziale Fortschritte erreichen können.

FĂŒr Portugal insgesamt dĂŒrfte sich damit die konjunkturelle Erholung fortsetzen: Eine Halbierung der Arbeitslosigkeit, BeschĂ€ftigungsprogramme, höhere Löhne, Schuldenabbau und ein stetiges Wachstum insbesondere im Infrastruktur- und Sozialbereich kann die Linksregierung aus den vergangenen vier Jahren fĂŒr sich verbuchen – und das alles gegen die gĂ€nzlich falschen RatschlĂ€ge der EU-Institutionen, die das portugiesische Volk zusammen mit konservativen Regierungen jahrelang im unsozialen WĂŒrgegriff gehalten hatten – und die immer weiter auf eine Sparpolitik zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit gedrĂ€ngt hatten. – Investitionen statt unsozialer Kahlschlag ist also das erfolgreiche Rezept der portugiesischen Linksregierung.

Der „Bloco“ steht den LINKEN in der Bundesrepublik am nĂ€chsten. Doch beide Parteien haben in den vergangenen zwei-drei Jahren völlig unterschiedlich entwickelt. WĂ€hrend DIE LINKE bundesweit nur noch leicht ĂŒber 7 Prozent liegt, somit ein FĂŒnftel ihrer Wahlstimmen zu verlieren droht und sie von einer sich dezimierenden SPD nicht profitieren kann, bleibt der BE recht stabil bei etwa 10 Prozent – trotz einer stĂ€ndig wachsenden PS und bei einer ebenfalls stabilen PCP!

Die Antwort auf diese Diskrepanz ist nicht ganz leicht zu geben, aber eine paar Eckpunkte fĂŒr eine ErklĂ€rung gibt es schon:

1. Der „Bloco“ hat (bereits vor und nach 2015) seine StĂ€rke durch eine stark prioritierte Sozialpolitik fĂŒr sie SchwĂ€chsten der Gesellschaft und die untere Mittelschicht erlangt. Damit konnte zwar auch DIE LINKE 2017 noch leicht punkten (9,2 Prozent), aber es hatte bereits eine Umorientierung auf urbane (eigentlich „grĂŒne“) WĂ€hlerInnen-Schichten stattgefunden – mit der Konsequenz einer Abwanderung von materiell am stĂ€rksten Benachteiligten nach rechts. Bei mehreren Wahlen ging darĂŒber hinaus das Fischen in „grĂŒnen“ GewĂ€ssern schief: Sympathie gab es, die Wahlstimmen gingen jedoch zu den GrĂŒnen… Die von einigen namhaften LINKEN entfachte Kampagne gegen Sahra Wagenknecht tat ihr Übriges dabei!

2. Dem BE ist es gelungen, mit grĂŒndlicher Arbeit und verstĂ€ndlichen Worten das Sprachrohr fĂŒr eine sozial angelegte Klimapolitik zu werden. GrĂŒne Konkurrenz musste sie dabei nicht fĂŒrchten. Er konnte mit einem detaillierten Klima-Wahlprogramm aufwarten, ohne dabei jedoch das soziale Engagement in den Hintergrund geraten oder holzschnittartig werden zu lassen. – Hier hat sich DIE LINKE teilweise selbst aufs Glatteis gefĂŒhrt. Bei einer derzeit dominanten grĂŒnen Partei, die bei 20-25 Prozent liegt, streben einige LINKE noch immer an, die besseren „GrĂŒnen“ zu sein. Das mag bei den Forderungen sogar richtig sein, kommt aber weder verstĂ€ndlich genug rĂŒber noch gelingt es, die eigentlichen WĂ€hlerInnen-Schichten damit anzusprechen.
Im Ă€ußeren Erscheinungsbild gibt es daher (etwas zugespitzt) „Klima-Linke“ und „Sozial-Linke“, die sich ĂŒber die PrioritĂ€ten nicht recht einig werden können (oder wollen). Das ergibt ein uneinheitliches und ziemlich verheerendes Bild – und rĂ€cht sich abermals durch Desinteresse bei den eigentlichen sozialen Zielgruppen. – Nur wenige, darunter Sahra Wagenknecht, können in diesem selbstgeschaffenen Spagat argumentativ bestehen und eine hohe PopularitĂ€t bewahren. FĂŒr ein positives und ansprechendes Gesamtbild der LINKEN reicht das jedoch nicht mehr aus.

3. Das Tolerierungsmodell einer linkssozialdemokratischen Regierung durch BE und PCP ist aufgegangen – weil es in der politischen Landschaft Portugals (und vieler anderer europĂ€ischer LĂ€nder) akzeptiert ist. Insbesondere linken Parteien bietet dieses Modell generell auch die Möglichkeit, bei bestimmten Fragen an ihren eigenen Positionen festzuhalten, auch wenn sich die Regierungspartei fĂŒr den einen oder anderen Beschluss andere (eher ungeliebte) Parteien suchen sollte. In DĂ€nemark ist dies ĂŒbrigens TagesgeschĂ€ft und belebt sowohl die Konkurrenz als auch bisweilen die Debattenkultur in Politik und Gesellschaft.
Es wĂ€re also möglicherweise eine passende Reaktion der LINKEN auf die stark verĂ€nderte politische Landschaft in der BRD – im eigenen wie auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Koalitionen auf Kommunal- oder Landesebene sind eine andere Sache, denn wichtige Fragen von Sozial-, Klima-, Friedens- und Gleichstellungspolitik werden nun mal in Berlin entschieden und erfordern unter UmstĂ€nden eine andere Herangehensweise. Die von einigen LINKEN jĂŒngst erneut angestoßene Debatte um eine „Rot-Rot-GrĂŒn“-Koalition wird linken Macht- und MitbestimmungsansprĂŒchen also nur unzureichend gerecht (mal abgesehen davon, dass sie derzeit nicht erreicht werden kann!) – und birgt das Abstrafen bei den nĂ€chsten Wahlen in sich. Sie verstĂ€rkt aber auch das althergebrachte parlamentarische System, das immer auch die kapitalistischen MachtverhĂ€ltnisse bewahrt!

Das Ergebnis der aktuellen Wahl in Portugal oder auch der EU-Wahl vom vergangenen Mai gibt also auch fĂŒr DIE LINKE genug Anlass, „lernen“ zu wollen und gleichzeitig parteiintern wie auch parlamentarisch neue Wege zu gehen. DafĂŒr jedoch muss die Debatte endlich eröffnet – und nicht immer wieder gedeckelt und bis ins FrĂŒhjahr 2020 verschoben werden, denn dann fallen Analyse und Neuanfang nur noch schwerer.

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