„Unser“ Kapitalismus ist die Fluchtursache Nr. 1

Wir sind über Flucht und Not betroffen – und die Gesellschaft streitet endlos über die Ursachen von massenhafter Flucht… Dabei ist die wichtigste Ursache doch schon lange kein Geheimnis mehr, meint Herman U. Soldan (DIE LINKE Flensburg)

(Erstveröffentlichung am 16.07.2019)

Viele stehen fassungslos vor den Bildern und den Nachrichten der vielen fliehenden Menschen, die übers Mittelmeer ihren Weg nach Europa zu finden versuchen – und manch eine/r mag denken: „Hört das denn nie auf?“ – Natürlich trauern wir um die Tausenden von Menschen, die auf diesem Weg ihr Leben lassen mussten, wir sind entsetzt über die Unmenschlichkeit in libyschen Folterlagern, und wir bewundern die (notwendigen) und mutigen Aktionen von freiwilligen HelferInnen, die versuchen, einige Dutzend Menschen aus ihrer See- und Flucht-Not zu befreien, denn sofortige Lebensrettung ist ein Menschenrecht. – aber eigentlich halten wir das alles doch gar nicht mehr aus!*

Und immer wieder heißt es, die „Fluchtursachen“ müssten grundlegend beseitigt werden (übrigens auch für den übergroßen Anteil der Fliehenden, die gar nicht nach Europa kommen können oder wollen)  – das hören wir seit Jahren und nicken vielleicht etwas schüchtern dabei… Aber nichts ändert sich! Keine „Fluchtursachen“ werden beseitigt, sondern immer weitere geschaffen – für jede Familie und jede Einzelperson… jeden Tag!

Für konservativ-„liberale“, teils auch „sozialdemokratische“ (und auch andere) PolitikerInnen bedeutet das Zauberwort „Fluchtursachen-Bekämpfen“ lediglich, Grenzen dichtzumachen, unmenschliche Lager in Libyen zu dulden (und sogar weitere zu fordern) und wirtschaftlich schwache afrikanische Staaten zu bestechen, damit sie die Fliehenden von „unserer“ vermeintlichen Wohlstandsinsel fernhalten… Das geschieht nach dem urkolonialen Muster „Glasperlen für Goldbarren“ – und die europäische Wirtschaft freut’s auch noch! Vielen europäischen Regierungen will nicht mehr einfallen als Seenotrettung zu verbieten – und die, die Menschenleben retten, und die Fliehenden selbst zu kriminalisieren

Wer hingegen sozial und humanistisch (vielleicht auch „links“) denkt, weiß, dass genau dieser unmenschliche Weg von EU, nationalen Regierungen und Konzernen alles immer noch schlimmer macht. Etwas hilflos richtet sich der Fokus dann oft auf eine Entwicklungshilfe, „die direkt bei den Menschen ankommt“… Ja, das könnte vielleicht etwas helfen – für einige wenige „von der Hand in den Mund“… Einige Initiativen und Organisationen machen so etwas hier und da auch schon (seit längerem) – aber auch das reicht (natürlich) nicht aus!

Nein… Die „Fluchtursachen“ liegen nicht in Kamerun, in Mali oder in Syrien – sie liegen direkt bei uns in Europa selber! Es ist das kapitalistische Wirtschaftssystem von Konzernen, Finanzgeflechten und zugehöriger Politik, das genau auf die Zustände setzt (und immer gesetzt hat): Es erzeugt bewusst die „armen Hinterhöfe“ – in den eigenen Gesellschaften, aber eben auch (und noch unmenschlicher!) vor der eigenen Haustür. In Afrika (und anderswo) soll lediglich ein ungehinderter Absatzmarkt für europäische Produkte geschaffen werden – für die wenigen dort, die sich so etwas überhaupt leisten können – und im Gegenzug werden die vielen Rohstoffe von Erste-Welt-Konzernen gnadenlos und kriminell, unter Einsatz unmenschlichster Ausbeutung und durch die Befeuerung von Verteilungskriegen zum Zwecke eigener Profite herausgeholt.

Die EU sowie die gewählten nationalen Regierungen gestatten den Agrar- und anderen Industrien, eigene Produkte durch subventionierte Dumpingpreise auf die afrikanischen Märkte zu werfen, die regionale Wirtschaft kaputtzumachen, sich der lebenswichtigen Ressourcen der Bevölkerung (Fisch, Trinkwasser etc.) durch die Macht der Konzerne zu bemächtigen – und so tagtäglich milllionenfache Not zu erzeugen. Sie erzeugen genau die Krisen, die „wir“ dann versuchen, „uns“ ebenso tagtäglich vom Leibe zu halten, auf die schwächsten in den außereuropäischen Ländern abzuwälzen – und damit schlimmste menschliche Not zu erzeugen!!!

„Wir“ in den (auf Kosten anderer) scheinbar wohlhabenden Staaten, „unsere“ Konzerne und Banken – und die Regierungen, die „wir“ wählen, sind die Fluchtursache Nummer Eins (und danach kommt erstmal eine ganze Weile gar nichts)! – Es macht also keinen Sinn, immer weiter die Parteien zu wählen, die den Kapitalismus mit der Profitgier der globalen Konzerne und ihrer Finanzmafia in seiner heutigen Form als alternativlos immer weiter befeuern und immer weiter wüten lassen.

Sozial- und Lohnabbau, zunehmende Armut, Wohnungsnot und Entdemokratisierung in unseren eigenen Ländern sind dabei übrigens ebenso wenig ein „Betriebsunfall“ des kapitalistischen Systems! All dies ist gewollt – und es dient immer nur den „klingelnden Kassen“ der elitären Oberschichten, die im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gehen, um ihren Besitz immer weiter und immer rücksichtsloser zu mehren – koste es, was es wolle! Überbordenden Reichtum immer weiter zu mehren, bedeutet geplante Armut, Ausbeutung und Gewalt – in Afrika oder anderswo, und bei uns!

Der „klassische“ Kapitalismus hat sich gewandelt, modernisiert und perfektioniert – aber sein Wesen ist trotz des noch schöneren Scheins noch immer das von 1884, 1933 oder 1962 (und danach): Er erzeugt weiterhin Armut und Ausbeutung, Klimakrisen, Kolonialismus, Imperialismus und Krieg. – So ist sein wahres Gesicht, und er darf nicht die Zukunft der Welt sein! Denn: Dann haben wir bald keine Zukunft mehr.

Ja… wir sind fassungslos vor den dramatischen und unmenschlichen Ereignissen „im Mittelmeer“ und: „Wir halten das nicht mehr aus!“*. Und wir bewundern und unterstützen die mutigen RettungshelferInnen (zu Recht!) – aber auch sie kämpfen wohl einen fast aussichtslosen Kampf gegen die finanzstarken Mühlenflügel der kapitalistischen Kräfte.

Es sind wichtige Signale, die von der „Sea Watch 3“ oder auch von „Fridays for Future“ und von vielen anderen Engagierten kommen… Politisch aktiv zu werden und zu handeln, ist für alle das Gebot der Stunde (auch für diejenigen, die dieser Form von kapitalistischer Demokratie nicht mehr vertrauen) – damit die politischen VerteidigerInnen des Kapitalismus, aber auch die des Hasses und der Gewalt mit ihren Engelszungen nicht weiter das mehrheitliche Sagen und Tun behalten. – Sie haben ihre Zeit (viel zu lange) gehabt – und die Folgen daraus sind für Menschen, Klima, Umwelt und Frieden katastrophal. – Beseitigen wir also diese „Fluchtursache“…!!!

*) „Wir halten das nicht mehr aus!“ war ein vielschichtiger Satz der Flensburger LINKEN auf ihren „schwarzen Plakaten“ zur Solidarität mit zur Flucht gezwungener Menschen – bereits im Frühjahr 2015.

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